Über Influencer Marketing und Werbekennzeichnung im Netz kann man ja stundenlang diskutieren. „Lasst uns also genau das machen“, sagten sich die Landesmedienanstalten. Und luden Influencer, Anwälte und Regulierer am 23. November 2017 nach Köln ein, um über die Fallstricke von werblichen Inhalten im Netz zu sprechen. Die Diskussion, zu der zum Beispiel auch Superstar Bianca Heinecke (Bibis Beauty Palace) geladen war, geriet angenehm kontrovers. Und es gibt mindestens eine Sache, die mit Sicherheit von vielen immer noch falsch gemacht wird.

Medienregulierung und Internet, das ist natürlich ein riesiges Fass, das man da aufmacht. Derzeit gibt es Diskussionen um Rundfunklizenzen (Brauchen Streamer eine?), um Jugendmedienschutz (Sind Kinderinhalte aus dem Ruder gelaufen?) und natürlich um das Dauerthema “Kennzeichnung”. Schön war, dass es endlich mal etwas gab, womit die Medienanstalten bislang eher zurückhaltend waren.

Zahlen.

Wie viele Influencer die Medienanstalten überhaupt prüfen, war bislang nicht wirklich bekannt. Nun gab Tobias Schmid, Chef der Landesmedienanstalt für Medien in NRW, bekannt, dass  sein Haus in den vergangenen Monaten 150 Angebote überprüft habe. 120 davon habe man sich “genauer angeguckt”, was immer das heißt. In 90 Fällen habe man konkrete Verstöße festgestellt, die man dann beanstandet habe. Alle Fälle konnten “im Gespräch” und ohne Verfahren gelöst werden.

Passend dazu ergänzte Joachim Becker, Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und Neue Medien, dass in diesem Jahr rund 500 angebliche Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht gemeldet worden seien. In Hessen gibt es dafür ein Online-Formular. Wie viele dieser Meldungen sich als relevante Verstöße erwiesen haben, verriet er nicht.

Ergänzen kann man noch ein paar Fakten aus dem Web-TV-Monitor von der Bayerischen Medienanstalt und der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg nennen. Demnach gibt es in Deutschland zur Zeit rund 12.000 Youtube-Kanäle mit mehr als 500 Abonnenten. Etwa 100 Kanäle erreichen mehr als eine Million Abonnenten. Etwa 2.500 dieser Anbieter hat man noch zu ihren Aktivitäten befragt. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte von ihnen macht Produktplatzierungen und Sponsorings, die für gut ein Drittel der Werbeumsätze von Online-TV-Angeboten verantwortlich sind. Ob dabei alles regelkonform abläuft, ist allerdings mehr als fraglich. Darauf deutet eine Aussage von Joachim Becker hin. In der steckte eine ganze Menge

Zündstoff.

Das Gespräch zwischen und Jura-Prof Oliver Castendyk war bis dahin eher so vor sich hin geplätschert. Während die beiden Herren sich juristische Fachbegriffe zuwarfen, konzentrierte das Publikum sich mehr und mehr auf einen fröhlichen Gif-Battle auf der Twitterwall im Saal.

Dann erinnerte Becker in einem Nebensatz daran, dass das Trennungsgebot auch bedeutet, dass Werbetreibende zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf die Inhalte nehmen dürfen: “Im Fernsehen muss erst das Drehbuch vorliegen, dann kommt das Placement. Das gilt auch für Online-TV.” Upsi! In der Webvideobranche ist es gang und gäbe, dass die Creator von den Agenturen detaillierte Briefings dazu bekommen, wie eine Produktplatzierung auszusehen habe. Auch die Abnahme eines Scripts oder eines Postings ist gängige Praxis. Die sollte spätestens jetzt überprüft werden. Solche Absprachen sind Becker zufolge nicht zulässig. Wer die entsprechende Passage nachlesen will: Rundfunkstaatsvertrag, §7 (2): „Werbung oder Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen.“ Zumindest handelt es sich dann nicht mehr um Produktplatzierungen. Sondern um ganz normale Werbespots. Mit entsprechenden Folgen für die Kennzeichnung.

Womit wir beim eigentlichen Hauptthema des Abends wären.

Kennzeichnung, Kennzeichnung, immer wieder Kennzeichnung.

Worauf sich alle einige können: Werbung muss gekennzeichnet werden. Punkt. Da hören die Gemeinsamkeiten zwischen Regulierern und Akteuren dann auch schon auf. Da können die Landesmedienanstalten noch so viele FAQs veröffentlichen: Es gibt nach wie vor ein grundlegendes Missverständnis darüber, wie die Online-Welt überhaupt angepackt werden muss. Tobias Schmid, Chef der Landesmedienanstalt für Medien NRW (LfM), sprach in seiner Begrüßung davon, dass  “konvergente Medien auch zu konvergenter Regulierung führen.” Soll heißen: Wenn die unterschiedlichen Mediengattungen wie TV, Social Media, Online-Video immer mehr verschmelzen, werden für diese Medien auch einheitliche Regelungen angewandt. Anders gesagt: Nur weil jemand im Web publiziert, bekommt er keine Sonderbehandlung. Oder noch anders gesagt: Es kann nicht sein, dass fürs Fernsehen schärfere Regeln als für Videos im Netz gelten, wenn es im Kern doch das gleiche ist.

Und dass er die Regelungen für Werbekennzeichnung im Netz für ausreichend hält, daran ließ Tobias nicht nur auf der Bühne, sondern auch im persönlichen Vorgespräch, dass ich mit ihm führen konnte, keinen Zweifel. Auf meine Frage, ob die derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen denn auch für fluide Netzwerke wie Snapchat oder Instagram ausreichen, auf denen werbliche Inhalte zum Beispiel nach einer gewissen Zeit verschwinden könnten, antwortete er:  “Wir müssen zwei Bereiche auseinanderhalten. Das eine ist das Thema Rundfunklizenzen für Streamingdienste. Da ist der Regelungskatalog, den wir anwenden müssen, möglicherweise nicht mehr ganz auf der Höhe. Der andere Bereich ist der, wo die Regeln sehr einfach sind: Dass Werbung gekennzeichnet werden muss, ist keine wahnsinnig komplizierte Regel. Die funktioniert auch in jeder Darreichungsform.” (Das ganze Interview findet ihr unten.)

Die andere Seite

vertreten Menschen wie Oguz Yilmaz. Der war mal Mitglied bei Y-Titty und kennt die Creator-Seite sehr gut (Disclaimer: Und ich kenne Oguz von unserer gemeinsamen Zeit bei Mediakraft sehr gut). Jetzt führt Oguz seine eigene Agentur namens “Whylder”. Er findet, dass Social Media und Fernsehen eben nicht miteinander zu vergleichen sind: “Fernsehen hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert. Das ist immer gleich. Bei Social Media gibt es viel mehr Funktionen und Möglichkeiten Inhalte zu posten. Und ständig kommen neue hinzu.” Ein Beispiel: Was ist, wenn man als Creator einen werblichen Beitrag liked? Ist der Like dann auch Werbung? Und wie will man einen Like kennzeichnen?

Die Empfehlung von Schmids Amtskollegin, Cornelia Holsten von der bremischen Landesanstalt für Medien, einfach jedes Posting, in dem eine Marke auftaucht, als Werbung zu kennzeichnen, um ganz auf der sicheren Seite zu sein, führt die Kennzeichnung jedenfalls ad absurdum. Wenn alles gekennzeichnet ist, auch wenn es rechtlich gesehen keine Werbung ist, stumpft der Zuschauer ja völlig ab: “Ist ja eh alles Werbung.” Damit würde das Gegenteil von dem erreicht, was Kennzeichnung eigentlich soll, nämlich den Zuschauern zu helfen, Werbung von redaktionellen Inhalten zu unterscheiden. Mit einem hat nämlich wieder keiner gerechnet:

Findige Creator.

Die beginnen jetzt damit, Postings als werblich zu kennzeichnen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Davon berichteten Vertreter der Deutschen Telekom. Manchmal mag das aus Unkenntnis und falscher Vorsicht geschehen. Aber es steigert auch den eigenen Marktwert, wenn man den Eindruck erweckt, mit einer Topmarke wie der Telekom zusammenzuarbeiten. Also erwähnt man einfach das Unternehmen einfach in einem Posting und markiert den als “Werbung”; man will ja auf Nummer sicher gehen. Auch das eine Praxis, auf die in der guten, alten Fernsehwelt niemand kommen würde.  

Das Dilemma für die ehrlichen Influencer brachte dann Diana zur Löwen (Dfashion) auf den Punkt: “Meine Zuschauer wollen wissen, ob ich Geld für ein Posting bekommen habe”, erklärte zur Löwen. “Wenn ich überall Werbung drauf schreibe, auch wenn kein Geld geflossen ist, hilft denen das auch nicht weiter.”

Wie sie denn mit zugesandten Produkten umgehen solle, fragte sie in der Diskussion Cornelia Holsten. Die Antwort der Behördenleiterin zeigte, dass trotz der zur Schau gestellten Überzeugung auch die Landesmedienanstalten im Nebel der Grauzonen stochern: “Bei unverlangt zugesandten Produkten ist die Bezeichnung “PR-Sample” ausreichend”, erklärte Holsten, um die eigene Aussage sofort mit einem nachgeschobenen “Glaube ich” zu relativieren.

Große Diskussionen

gab es um den Hashtag “ad”, der eine wesentliche Rolle im “Rossmann-Urteil” des OLG Celle spielte. Selbst die Medienanstalten schrieben auf der Einladung zu der Watchdog-Veranstaltung noch unter Berufung auf das Urteil aus Celle: “Werbekennzeichnung mit #ad ist unzureichend.” Cornelia Holsten, Vorsitzende der bremischen Landesmedienanstalt, wie auch Tobias Schmid stellten dann allerdings klar: Es ging ja lediglich um die intransparente Platzierung in einer Wolke anderer Hashtags. Grundsätzlich habe das Gericht nichts gegen die Kennzeichnung mit “ad” gehabt.

Widersprüchliche Aussagen zum Hashtag #Ad bei den Medienanstalten.

Ein Blick ins Urteil bestätigt diese Lesart:“Der Senat lässt offen, ob die von der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten unter anderem empfohlene Verwendung des Hashtags „#ad“ grundsätzlich geeignet ist, einen Beitrag bei I. (Instagram; Anm. MM)  oder ähnlichen sozialen Medien als Werbung zu kennzeichnen. (…) Eine ausreichende Kennzeichnung des kommerziellen Zwecks des streitgegenständlichen Beitrags fehlt aber jedenfalls deshalb, weil das Hashtag „#ad“ innerhalb des Beitrags nicht deutlich und nicht auf den ersten Blick erkennbar ist.”

Dass die Landesmedienanstalten den Hashtag “#ad” jetzt nicht mehr empfehlen, hat jedenfalls nix mit dem OLG-Urteil zu tun. Im Gespräch sagte Tobias Schmid zu mir auch, “dass wir den Veränderungsprozess der FAQs schon vorher eingeleitet haben.” Vielmehr scheinen die Anstalten bestrebt zu sein, den Spielraum der Kennzeichnung möglichst klein zu halten. Auch aus Eigeninteresse: Die Landesmedienanstalten sind Regulierer, kein Beratungsunternehmen für Werbekennzeichnung. Dass es überhaupt FAQ gibt, geht schon über den eigentlichen Auftrag der Aufsichtsbehörde hinaus. In seinem Schlusswort erklärte Schmid jedenfalls sinngemäß, kein Interesse daran zu haben, für jede Plattform und jeden Sonderfall eine eigene Regelung schaffen zu wollen. Stattdessen solle man die Perspektive der Nutzer einnehmen: “99 Prozent der Fälle sind ganz einfach. Man weiß, dass es bezahlte Werbung ist. Also muss es auch so gekennzeichnet werden.”

Mein Fazit:

Die Influencer brauchen meiner Ansicht nach nicht darauf zu hoffen, dass ihnen die Landesmedienanstalten weiter als schon geschehen entgegen kommen. Detailliertere FAQs, Anleitungen zur Kennzeichnung oder Infomaterial für die Zuschauer wird es nicht mehr geben. Wer stattdessen am Zug ist, erklärte Rechtsanwalt Sven Dierkes (Holymesh, YT-Tainment): “Der Rundfunkstaatsvertrag und das Telemediengesetz entsprechen nicht mehr den Anforderungen.” Die zu ändern, wäre freilich eine (äußerst langwierige) Aufgabe der Politik. Medienpolitiker, die sich dazu hätten qualifiziert äußern können, waren aber ausgerechnet bei #Watchdog17 nicht zugegen. Die Grauzonen werden den Influencern also noch ein wenig erhalten bleiben.

Das ganze Gespräch mit Tobias Schmid, Landesanstalt für Medien, NRW