Update 2020: Mein erstes SXSW-Panel war direkt mit einem großen Namen. Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti wollte denn auch direkt die ganze deutsche Medienfilterblase sehen. Und so gab es ein großes Hallo, als immer mehr bekannte Gesichter vor dem Vortragssaal eintrafen. Schon komisch, da fliegt man um den halben Erdball, um dann doch die gleichen Leute zu treffen, die man auch in Deutschland so kennt. Aber ein bisschen gehört das in der Medienbranche auch dazu. Wir sind halt alle Herdentiere.
Jonah Peretti übrigens hat mir nicht so gut gefallen, wie ihr dem Text entnehmen könnt. Ich fand seine Aussagen damals ziemlich dünn. Klar, als naseweiser random Redakteur aus Deutschland muss man natürlich erstmal Jonah Peretti bashen, einen der visionärsten Mediengründer dieses Jahrhunderts. Geht halt nichts über gesundes Selbstbewusstsein, oder…
Inzwischen hat Peretti kräftig nachgelegt. In seiner Strategie für Buzzfeed im Jahr 2020 knüpft er an viele Dinge an, die er in Austin gesagt hat, nur dass sie hier viel konkreter klingen. Die fünf Schlüsselstrategien, die er für Buzzfeed ausgemacht hat, stehen für mich beispielhaft, wie sich Medienunternehmen im digitalen Zeitalter aufstellen müssen und Inhalte, Journalismus und neue Geschäftsmodelle auftun können. Also: Den Text hier mal als das nehmen, als was er ist: Aus dem Moment gehört, gesehen, aufgeschrieben. Eher eine Konzertkritik als eine tiefgründige Einordnung. Panels nacherzählen, das werde ich in diesem Jahr weniger machen, versprochen.
Verschwörungstheorien, Fake News und Hate: Das Internet ist inzwischen vollgemüllt mit Dingen, die niemand braucht. Und was man in so einem Fall tun muss, das hat die Welt von einer zierlichen Japanerin gelernt: Bringt es keinen “Joy”, dann weg damit. Und damit sind wir bei Jonah Peretti, dem Buzzfeed-Gründer, der auf der SXSW 2019 antritt, das Internet aufzuräumen. Im Marie Kondo-Style.
Ich bin auf Nummer sicher gegangen, um den vermeintlichen Messias der Medienbranche auf jeden Fall erleben zu können. Über die offizielle SXSW-App habe ich mir schon am Vortag einen Platz ganz vorne in der Schlange zum heiß erwarteten Talk von Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti gesichert. Neben mir sitzt Juan Korman. Er kommt aus Argentinien und ist zum fünften Mal in Austin dabei. Dementsprechend hat er Peretti schon bei seinem letzten Auftritt auf der SXSW im Jahr 2015 erlebt. “It was the talk of the conference”, erinnert sich Juan, während wir den Tagungsraum im luxuriösen Fairmont Hotel betreten.
Hohe Erwartungen an Jonah Peretti
Dementsprechend hoch sind die Erwartungen, nicht nur von Juan. Die Spannung im Publikum ist mit Händen zu greifen, denn anders als 2015 kommt Peretti nicht mit dem Rückenwind des Revolutionärs der Medienbranche nach Austin, im Gegenteil: “We have a crisis”, gibt der Buzzfeed-Chef direkt zu Anfang ganz unumwunden zu.
Mehr als 2000 Medienschaffende haben in diesem Jahr in den USA bereits ihren Job verloren (gemeint ist 2019, Anm. MM). Auch Buzzfeed musste rund 200 Mitarbeiter entlassen. Seinen Spirit hat Peretti aber noch nicht verloren. “I’m here to tell you how to save the Internet”, eröffnet Peretti seinen Vortrag. Ich sitze in der dritten Reihe keine zehn Meter von Peretti entfernt. Locker, gelöst und voller Energie spult der sein Programm ab. Wenn es sowas wie ein Heimspiel oder Wohnzimmer für ihn gibt, dann ist es wahrscheinlich diese Konferenz hier. Aber wie soll das denn jetzt gehen mit dem Internet und dem Retten?
Joy saves the internet
Die Antwort: Mit “Joy”. Das Internet soll wieder ein besserer Ort werden, indem gute Inhalte, die den Menschen Spaß machen, den ganzen negativen Kram verdrängen. Ist das der große Wurf, auf den hier alle warten? Als Peretti vor vier Jahren verriet, wie Buzzfeed auf Social Media schier unglaubliche Reichweiten generiert, stand allen Medienvertretern noch der Mund offen. Peretti und sein Team hatten ein bis dahin nicht für möglich Kunststück vollbracht: Dass man einerseits Cat-Content und Kochrezepte posten kann, die millionenfach geteilt werden, aber gleichzeitig mit investigativem Journalismus Scoops landen kann, die im ganzen Land für Aufsehen sorgen.
Geld verdienen mit Journalismus? Buzzfeed kann das
Was Peretti und viele andere unterschätzt hatten: Dass Facebook zum einen in der Lage ist, diese Reichweiten mit einem Fingerschnippen zu pulverisieren. Außerdem, gibt Peretti freimütig zu, hatte man gehofft, von den Plattformen schneller an den astronomischen Umsätzen beteiligt zu werden, die diese mit den Inhalten Dritter erzielen. Inzwischen ändere sich das, sagt Peretti und legt Zahlen vor: Drei Millionen Dollar Revenue Share hat Buzzfeed im letzten Quartal 2018 von Facebook erhalten, 2,5 Millionen mehr als zu Jahresbeginn. Nicht nichts. Aber im Vergleich zu den Milliarden, die Facebook nach wie vor einstreicht, nimmt sich diese Summe dennoch Bescheiden aus.
Aber selbst Peretti beißt nicht die Hand, die ihn füttert. Plattformen und Medienunternehmen müssen zusammenarbeiten, um das Internet wieder zu einem besseren Ort zu machen, sagt er. Facebook ist also Teil der Lösung, nicht Teil des Problems. Wenn das mal nicht zum Bumerang wird, denke ich mir. Vor vier Jahren waren es Unternehmen wie Buzzfeed, Vice oder Upworthy, die als erste entschlüsselten, wie man mit für Social Media optimierten Inhalten die etablierten Medien links überholen kann. Es hat nicht lange gedauert, bis “bad actors”, wie man hier in den USA sagt, die gleichen Methoden benutzten, um Propaganda, Lügen und Hetze zu verbreiten.
Die Buzzfeed-Backform
Nun, das Zeitalter der Shares ist vorbei. Die neue Währung für Buzzfeed sind “Realworld Transactions”, sagt Peretti. Bedeutet: Es geht nicht mehr darum, wie viele Menschen ein Backvideo der Buzzfeed-Erfolgsmarke “Tasty” sehen. Sondern wie viele Menschen danach in den nächsten Walmart rennen, um sich die im Video verwendete Original-Tasty-Backform zu kaufen. Die Logik: Ein Kochvideo bringt Joy, eine schöne neue Backform auch, der Kuchen, der am Ende dabei rauskommt, erst Recht. Nur: Das Internet ist keine Schublade mit alten Socken, aus der man die ollen, löchrigen Fetzen einfach aussortiert.
Ich fürchte, diesmal sind Populisten und Verschwörungstheoretiker dem Buzzfeed-Gründer einen Schritt raus. Die lotsen mit Realworld Transactions die Menschen in einen Brexit. Peretti vertickt derweil Suppenkellen und Schneebesen. Damit sparkt er Joy. Das Internet rettet er vermutlich nicht. Den Job muss jemand anderes übernehmen. Der Spot für den “talk of the conference” ist soeben frei geworden.
Der Original-Artikel erschien am 9. März auf WuV.de.
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