Beitragsbild: David Pierce-Brill
Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich einen Text geschrieben, den man mir heute sorglos um die Ohren hauen könnte. Ich habe die steile These geäußert, dass Journalisten Snapchat benutzen müssen. JETZT! Nun, Snapchat ist längst nicht mehr der heiße Shit. Und wie ich vergangene Woche gelernt habe, machen junge Journalisten Storys immer noch lieber für die Seite 3. In diesem Post möchte ich erklären, warum ich meine These von damals trotzdem für richtig halte. Und welches Social Network das nächste große Ding ist.
Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe Snapchat das letzte Mal vor ein paar Wochen geöffnet. Und da habe ich mich auf meinem Smartphone verdrückt. Snapchat ist out, und ich bin nicht der einzige, der so denkt. Deutschlands Snap-Guru Philipp Steuer macht inzwischen lieber in Kryptowährungen. Und vor ein paar Tagen hat Super-Influencerin Kylie Jenner verkündet, dass sie Snapchat nicht mehr öffnen würde. Klatsch! Kurz nach dieser Äußerung brach der Kurs der Snap.Inc-Aktie um drei Prozent ein. Und ich musste nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen an meinen Blogpost von damals denken.
Journalisten! MÜSSEN! Snapchat!
Nicht!
Oder doch?
Rückblende zum Digital Media Camp in München am 17. und 18. Februar 2018. Das Barcamp des Media Lab Bayern war eine ziemlich gelungene Veranstaltung. Social Media-Profis, Online-Journalisten, Entwickler, Kreative und Gründer trafen sich im Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung. Zwei Tage lang ging es um die Tücken des Facebook-Algorithmus, Storytelling, Influencer-Marketing, Blockchain, Content-Marketing und so weiter. Zu Snapchat gab es übrigens keine einzige Session, aber das nur am Rande.
Eine der spannendsten Session fand allerdings nach dem Barcamp auf Twitter statt, als Karsten Lohmeyer (@Lousy Pennies) Folgendes anmerkte.
Beobachtung am Rande des tollen #dmcmuc Von rund 50 aktuellen Schülern der @DJSde, die sich im Veranstaltungsort befindet, sind maximal drei bis vier anwesend. Es gab übrigens Freikarten für die Journalistenschüler. 🤔
— Karsten Lohmeyer (@LousyPennies) February 18, 2018
Alte Gräben
Und dann ging’s los: Die angesprochenen Journalistenschüler und andere junge Journalisten keilten zurück, dass sie Besseres zu tun hätten, als sich auf, Zitat, “digitalen Bällebadkonferenzen einlullen zu lassen.” Reportagen schreiben zum Beispiel. Und auf einmal brachen alte Gräben zwischen “Journalisten”, hier, und “Digitalen”, da, wieder auf. Gräben, von denen ich angenommen hatte, dass sie zumindest bei Medienschaffenden unter 35 nicht mehr existieren würden. Aber da hatte ich mich wohl geirrt.
Ich will jetzt nicht die ganze Diskussion hier nacherzählen. Nach einem halben Tag Gezwitscher hatten sich alle auch schon wieder lieb. Aber einige der Kommentare und Bemerkungen, die in der Diskussion auf kamen, bewegen mich noch immer noch. Inzwischen stehe ich als Dozent am Kölner SAE-Institut selbst vor MedienstudentInnen. Mir liegt die Ausbildung junger Journalisten am Herzen. Dass ich Berufsanfängern etwas mit auf den Weg geben kann, bedeutet mir sehr viel.
Blockchain-Journalismus?
Eine Botschaft, die ich allen jungen Journalisten mitgebe, lautet: “Mach alles mit!” Wenn ein neues Social Network gehyped wird: Probier es aus! Wenn eine neue Technologie wie Virtual Reality auf den Markt drängt: Beschäftige dich damit! Beim Digital Media Camp gab es eine Session dazu, wie die Blockchain-Technologie den Journalismus verändern könnte. Ich verstehe nicht mal die Hälfte, wenn es um Blockchain geht. Aber ich verstehe, dass Technologie Journalismus schon immer verändert hat. Also höre ich mir das an. Weil, könnt’ ja sein. Wenn sich in fünf Jahren herausstellt, dass Blockchain großer Crap ist, so what!?
Eine Kollegin schrieb auf Twitter: “Ich hab vor 10 Jahren an der DJS von einem Dozenten eingeredet bekommen, wir müssten alle VJs sein. Hat sich nicht bewahrheitet.” Ich kann mich an diese Zeit sehr gut erinnern, schließlich war ich selbst als einer dieser VJs unterwegs. Zeitungen werden zu TV-Sendern, hieß es. Und natürlich ist es nicht so gekommen. Zeitungen machen überwiegend (und leider) vor allem weiter Zeitung. Vor zwei Jahren habe ich geschrieben, Journalisten müssen Snapchat machen. Wird die Tagesschau heute nur noch via Snapchat geguckt? Eher nicht.
Aber deswegen ist ja nicht falsch, sich damit zu beschäftigen. Während ich als Videoreporter für die Rhein-Zeitung gearbeitet habe, habe ich mich versucht, die Besonderheiten von Online-Video zu verstehen. Das hat mich zu Mediakraft geführt und mit der Szene in Kontakt gebracht. Heute mache ich immer noch Videos, schreibe über diese Branche und halte auf Barcamps Vorträge über Youtube. Für die Kollegin waren Videos nichts. Ich verdiene heute mein Geld damit.
Mit Inhalten Geld verdienen?
Karrieren in den Medien lassen sich nicht planen. Mit 20 habe ich mich auch als großer Reportagenschreiber mit dem Kisch-Preis in der Hand gesehen. Bekommen habe ich den Marketingaward Saarland für meine Mitarbeit am Youtube-Kanal der saarländischen Handwerkskammer. Natürlich ist es toll, wenn man nach dem Volo oder der Journalistenschule bei Spiegel, SZ oder den Öffentlich-Rechtlichen unterkommt. Aber verlassen würde ich mich da heute nicht mehr darauf. Karrieren, die im Journalismus begonnen haben, führen irgendwann zu Agenturen, in Pressestellen oder ins Content-Marketing. Vielleicht, so verwegen es klingt, möchte man irgendwann sogar mal sein eigenes Ding machen. Spätestens dann ist man aufgeschmissen, wenn man nicht weiß, wie man Inhalte digital verbreitet. Und damit Geld verdient.
Journalisten müssen nicht alles machen und nicht alles können. Aber sie müssen alles können wollen. In keiner Branche ist es so wichtig, über den Tellerrand zu schauen und sich ständig weiterzuentwickeln, wie in den Medien. Die Tagesschau wird nicht auf Snapchat geguckt. Aber die Tagesschau-App sieht nicht zufällig ein bisschen so aus. Die Sehgewohnheiten haben sich bereits verändert. Wer gelernt hat, wie man auf Snapchat Storys erstellt, hat heute auf Instagram keine Schwierigkeiten mehr damit. Und damit beste Karriereaussichten. Ich sehe in der Medienbranche jedenfalls keine Stellenausschreibungen mehr, in denen Social Media-Skills nicht Teil des Job-Profils wären. Nach Seite-3-Reportagen wird nach meiner Beobachtung nur selten gefragt.
Epilog
Ach so, das nächste große Ding. Fast vergessen 😉 Ich habe mir jetzt einen Account bei Jodel gemacht. Buzzfeed holt aus dem standortbasierten Social Network schon eine Menge Geschichten raus. Noch sind dort vor allem Studenten unterwegs. Aber es könnte groß werden. Deswegen zum Schluss meine Empfehlung: Wer in einer Studentenstadt als Lokaljournalist arbeitet, muss auf Jodel sein! JETZT!
Ja, ja, alles richtig und wichtig und alles versuche ich zu beherzigen. Zwischen elf-Stunden-Tagen, Texten hier, Fotos da und irgendwo dazwischen noch einem Video versuche ich, den Überblick über meine Social-Media-Accounts (die privaten und die beruflichen) nicht zu verlieren. Jeder neue heiße Scheiß splittet die Aufmerksamkeit weiter auf und macht die Arbeitstage und die freie Zeit dazwischen umso anstrengender. Ich will alles können und kann es nicht alles können, weil der Tag nunmal nur 24 Stunden und das Hirn eine begrenzte Aufnahmefähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne hat. Dazu kommt die Sorge, irgendeinen einflussreichen Kanal fürs Blatt zu übersehen oder zu verpassen oder zu spät damit zu kommen oder ihn nicht ernst genug zu nehmen. Immerhin: Ein Kanal, der wieder von der Bildfläche veschwindet, ist in dieser Situation auch mal ganz schön. Daran muss ich dann zumindest nicht mehr denken.
Danke für deine Antwort, Susanne. Ich kann das total nachvollziehen. Die Fülle an Medienangeboten erschlägt und überfordert auch Menschen, für die Medien zum Beruf gehören. Was meiner Meinung nach in vielen Redaktionen noch falsch läuft: Es gibt einen „Social Media-Redakteur“. Und der soll dann mal schön alles machen. So, als wäre Twitter das Gleiche wie Facebook oder Instagram. Ich fände es sinnvoller, man entscheidet sich, welche Kanäle man wirklich bedienen will. Und dann hat man zwei Redakteure, die sich auch genau darauf konzentrieren können. Das Missverständnis: „Online“ ist kein Medium. Sondern die verschiedenen Kanäle, die man bedient, von der News-Webseite, über das Blog bis hin zum Youtube-Kanal. Und für alles braucht man Spezialisten. Aber das verstehen leider viele Redaktionen/Verlage nicht.
Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute und viel Power für die nächste Schicht. Lass dich nicht unterkriegen 🙂