Zwei Formulierungen sind mir immer wieder und in verschiedenen Varianten im Zusammenhang mit der diesjährigen Republica-Konferenz begegnet. Zu Beginn der Veranstaltung war das: „Endlich wieder normale Leute.“
Nach der Veranstaltung war das: „Das habe ich gebraucht, um meinen Akku wieder aufzuladen.“
Wir leben in Zeiten von Polarisierung und erleben täglich massive Angriffe von „digitalen Schlägertrupps“ (Natascha Strobl) auf Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen (=normale Leute). Einmal im Jahr einen safe space zu haben, wo man spüren kann, dass man nicht allein ist, ist inzwischen eine der wichtigsten Funktionen dieser Veranstaltung. In der LinkedIn-Alpha-Tech-Bro-Rhetorik heißt es oft, dass man seine Komfortzone verlassen müsse, um im Leben vorwärtszukommen. Die Republica ist in jeder Hinsicht der Gegenentwurf dazu.

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In ihrem 18. Lebensjahr ist und bleibt sie die wichtigste Komfortzone für alle, denen eine positive, digitale Gesellschaft am Herzen liegt. Ich frage mich: Wie kriegen wir wieder mehr Menschen an diesen Ort?

Das habe ich auf der Republica 2025 gelernt

Ich: Wie viel Sorgen um unsere Zukunft muss ich mir angesichts der Entwicklungen im Internet machen?
Republica: Ja!
Wieder Ich: Können wir irgendwas tun?
Wieder Republica: Hold my beer!

Nein, das Internet ist kein Ort mehr, an dem man sich wohlfühlt. Dystopie ist das neue Normal. Drei Sätze, die ich bei verschiedenen Panels aufgeschnappt habe:

„Hätte vor drei Jahren jemand die Welt beschrieben, in der wir heute leben, hätte jeder gesagt, dass das eine krasse Dystopie ist.“ (Marc-Uwe Kling)

„Wir erleben eine feindliche Übernahme demokratisch genutzter Plattformen durch einen digitalen Imperialismus.“ (Natascha Strobl)

„Der digitale Faschismus ist real.“ (Andreas Beckedahl)

Gleichzeitig gibt es keine bessere Raumzeit für einen Ausweg aus der Misere, als die drei Tage Republica in Berlin. Hier treffe ich Menschen, die ein tiefes Verständnis für die Probleme haben, die uns beschäftigen. Sie bringen Kreativität, Kompetenz und Energie mit, um passende Lösungen zu finden. Und vor allem haben sie das nötige Fachwissen und die Fähigkeiten, diese Ideen auch Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei geht es nicht um einzelne Personen. Vielmehr ist es die Vielfalt der Teilnehmenden, die die Republica zu einem der letzten Orte macht, an dem sich live die positive Kraft von Schwarmintelligenz entfaltet.

Eine Sache hat mir die diesjährige Republica besonders bewusst gemacht. Fakten, Information und die Vermittlung von Tatsachen sind ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Desinformation, Polarisierung und Oligarchie. Gleichzeitig brauchen wir Ansätze, die nicht den Kopf, sondern Bauch und Herz der Menschen ansprechen, wenn wir die aktuellen Entwicklungen stoppen wollen. Der niederländische Philosoph und Sozialforscher Bert Brandsma sagt in seinem Vortrag, dass Polarisierung weder auf der rationalen Ebene entsteht noch gestoppt werden kann.

Ein Mann spricht auf einer Bühne vor einer Leinwand mit der Folie „What to do when POLARISATION strikes“ und dem Bild zweier zerbrochener Bleistifte.

Bert Brandsma erklärt, wie Polarisierung funktioniert. Foto: Moritz Meyer

Darum ist es so wichtig, dass Autor Marc-Uwe Kling sein Känguru erklären lässt, was eigentlich grade falsch läuft auf den großen Tech-Plattformen.
Das Theater-Kollektiv onlinetheater.live „hackt“ sich in die Manosphere. Sie kreieren TikTok-Accounts, die „Online-Bros“ mit empathischen und positiven Botschaften erreichen, indem sie den Stil von Männlichkeits-Coaches und Dating-Experten kopieren.
Und das Zentrum für politische Schönheit rüstet einen Bus mit Flakscheinwerfern und Luftalarmsirenen hoch. Der „Adenauer“ soll Demos gegen Rechts lautstark unterstützen und Nazis das Fürchten lehren.

Von diesen emotionalen Aktionen brauchen wir mehr. (Gleichzeitig brauchen wir nicht weniger Aufklärung und Journalismus. Davon brauchen wir auch mehr. Nur, dass das einmal gesagt ist.)

Wildberger: Die größte missed Opportunity

Hat der neue und erste Digitalminister Karsten Wildberger den gruseligsten Satz der an gruseligen Sätzen nicht armen Republica 2025 gesagt?

„Die Digitalisierung ist eines der ganz entscheidenden Zukunftsthemen“.

Mit diesen Worten leitet der neue Minister seinen Vortrag auf der Stage 1 ein, der größten Bühne auf Deutschlands wichtigster Digitalkonferenz. Nicht nur mir läuft ein Schauer den Rücken runter. Auf Mastodon und Bluesky – die Republica-Community fährt immer noch noch zweigleisig auf der Suche nach ihrem Twitter-Replacement – sehe ich sofort, dass ich nicht der einzige bin, dem durch den Kopf geht: „Das hat der jetzt nicht ernsthaft gesagt, oder? So im Jahr 2025.“ Die Messlatte für digitale Politik in Deutschland liegt immer noch sehr, sehr niedrig. Leider…

Andreas Beckedahl, Republica-Mit-Erfinder und Deutschlands Schattenminister für Digitales seit fast 20 Jahren, wird nach Wildbergers Keynote sagen, dass dieser viele Themen angesprochen habe, die auf der Republica schon seit Jahren diskutiert und gefordert werden. Dafür sei er dankbar. Dennoch bleibt Wildbergers 20-minütige Keynote eine große missed Opportunity. Erkennbar bemüht sich Wildberger, die Anerkennung und den Respekt der Republica-Gemeinde zu verdienen. Dabei findet der Ex-Saturn-Media-Markt erstaunlich viele Varianten der Formulierung „Ich lade Sie zum Dialog, Austausch, Diskurs ein“. Wenn er nur genauso viel angeboten hätte, über das sich ernsthaft diskursen ließe.

Ein Mann im Anzug spricht auf einer Bühne vor einer großen Leinwand mit dem re:publica25-Logo.

Der neue Digitalminister Karsten Wildberger spricht auf der Republica 2025. Foto: Moritz Meyer

Stattdessen verkündet er Selbstverständlichkeiten auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners. Ja, eine geschützte digitale Identität für Bürgerinnen und Bürger wäre super. Dass Europa digital souveräner werden sollte, ist für den harten Kern der Republica ein alter Hut. Und die Digitalisierung? Guten Morgen, die ist nicht mehr wichtig für die Gesellschaft. Das war gestern. Wir kämpfen gerade dagegen, dass unsere Gesellschaft nicht davon zerstört wird. Das ist ungefähr so, als hätte ich verkündet, dass Anschnallgurte echt wichtig für die Sicherheit von Autofahrern sind, während ich mit 180 km/h und ohne Bremsen auf eine Mauer zurasen.

Dabei hatte die Keynote des Neu-Ministers Wildberger ein interessantes Versprechen: „Ministerium als Start-Up“ soll das Motto im neuen Ressort sein. Davon spüre ich nichts. Wildberger füllt diese DOGE-mäßige Phrase nicht mit Leben. Ich fände es schon spannend, wenn ein Ministerium plötzlich mit Sprints arbeiten würde, die Mitarbeitenden OKRs bekämen oder die Fachabteilungen plötzlich agil und nicht hierarchisch aufgestellt werden. So bleibt es bei dem Fazit, das Andreas Beckedahl im Gespräch mit dem Digitalminister zog: „Viele Forderungen sind aufgenommen werden. Wir freuen uns, wenn sie auch erfüllt werden.“ Daran, und nicht an der Zahl der Einladungen zum Dialog, wird sich Karsten Wildberger messen lassen müssen.

Das hat bei der Republica gefehlt

Ich habe viel gelernt und einmal mehr mit vielen Leuten gesprochen, die ich zum Teil nur auf der Republica treffen kann. Gleichzeitig merke ich, wie mir wichtige Stimmen und Akteure fehlen. Es wird viel über die Entwicklungen in den USA gesprochen. Ich vermisse Stimmen aus diesem Land, die uns Innensichten bieten. Eine Jay Graber von Bluesky, ein Jeff Goldberg von The Atlantic würden die Republica auch in ihrer Außenwahrnehmung aufwerten. Ich weiß nicht, ob und wie sehr im Hintergrund an solchen Kalibern gearbeitet wird. Ich würde mich freuen, auch solche Speaker:innen wieder mehr auf der Republica zu erleben.

Auch meine Perspektive hat sich in den Jahren verändert und weiterentwickelt. Inzwischen bin ich einer von drei Geschäftsführenden bei HitchOn. Als Social-Media-Agentur leben wir von der Arbeit auf den großen Tech-Plattformen. Vor der Republica erreicht mich auf Mastodon dieser Post:

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Ich stimme zu. Agenturen, aber auch Marken und Marketingschaffende können ein wichtiger Multiplikator für die Weiterentwicklung von Plattform-Alternativen wie dem Fediverse sein. Damit diese Akteure gewonnen werden, braucht es mehr als normative Argumente pro Demokratie. Genau wie bei der Diskussion um die doppelte Herausforderung von Nachhaltigkeit und KI (einem der wenigen Agentur-Panels, organisiert vom GWA), reicht es nicht zu sagen, dass die Bekämpfung der Klimakrise halt wichtig ist.

Ohne Akteure aus der Wirtschaft in Deutschland wird es nicht gelingen, wichtige Ziele zu erreichen. Wenn wir Alternativen zu Meta, TikTok oder YouTube haben möchten, braucht es eine Perspektive für Marken und Creator, warum sie auf diese machtvollen Marketing- und Entertainment-Plattformen verzichten sollen. Eine Cloud-Infrastruktur, die ohne Amazon, Microsoft und Google auskommt, ist ein gigantisches Unterfangen. Ohne die größten und wichtigsten Tech-Konzerne in Europa wird dieser Wandel nicht gelingen. Manager:innen von Siemens, SAP oder Deutsche Telekom dürfen gerne auf den Bühnen der Republica stehen und erklären, ob und wie sie das unterstützen wollen. Multiplikator:innen wie Agenturen kommen zu einer Veranstaltung, wenn es dort was zu multiplizieren gibt. Da hat die Republica derzeit Luft nach oben.

Zu guter Letzt ein Blick auf die Medienbubble: Die Republica ist sehr Öffentlich-Rechtlich geworden. Das ist gut. Wer verstehen möchte, woran ARD und ZDF gemeinsam arbeiten und wie zwei der größten europäischen Medienanbieter sich den angesprochenen Herausforderungen stellen, muss zur Republica kommen. Das ist gelebte Transparenz und ein echter Pluspunkt, sowohl für Republica als auch für Öffentlich-Rechtliche. Gleichzeitig treten private Medienanbieter nur noch sehr sporadisch in Erscheinung. Hier eine Keynote vom Tagesspiegel, da ein Panel zu Jugendschutz von RTL, man muss im Programm schon sehr genau suchen, wenn man Perspektiven  aus dem privaten Rundfunk oder der Verlagswelt hören möchte.

ine große Gruppe von Menschen sitzt und unterhält sich in einer großzügigen Halle im Industriestil während eines Community-Meetups.

Viele graue Haare: Bloggen ist alt geworden, so manch bloggende Person auch. Foto: Moritz Meyer

Große Verlage, geschweige denn Streaminganbieter fehlen fast gänzlich. Ich erinnere mich bis heute an den Auftritt des damaligen Netflix-CEO Reed Hastings bei der Republica vor zehn Jahren. Diese Strahlkraft hätte ich gerne wieder auf der Bühne. Die Republica ist mehr als nur ein Klassentreffen der Bloggerszene, die „ein bisschen grau geworden ist“, wie es ein Teilnehmer des Blogtastisch-Meet-Ups von Thomas Riedel formulierte. Sie ist die wichtigste Digitalkonferenz in Deutschland, vielleicht in Europa. Ich wünsche mir nicht nur, dass das so bleibt, sondern dass die Ansprüche wieder größer werden. Vielleicht muss die Republica dafür ihre Komfortzone verlassen.

Randnotizen

  • Ich habe auf dieser Republica das erste Mal selbst auf der Bühne gestanden. Maria Plotnikova und ich haben darüber gesprochen, wie Content-Distribution sich weiterentwickeln kann. War ein großer Moment für mich.
  • Die TinCon ist eine geniale Idee. Sie ist ein echter Jungbrunnen für die Republica. Das Programm der TinCon-Bühne muss sich nicht hinter dem des Mutterschiffs verstecken. Ich hatte meine Tochter auf Republica und TinCon mit dabei. Und auch für sie war es ein tolles Erlebnis.
  • Tolle Side-Events sind ein weiterer Grund, nach Berlin zu kommen. Ich war beim Media Innovation Breakfast von LfM NRW, Medialab Bayern und dem Medienboard Berlin-Brandenburg. Dienstagabend dann noch beim Empfang des Medienboards.

Links zur Republica 2025

Das Titelbild zu diesem Blogpost ist von Mika Baumeister. Auf seiner Webseite könnt ihr ihn fragen, ob er solche Bilder auch von euch macht.

Gunnar Sohn fasst eine Session von Dirk von Gehlen zusammen. 

Was Bibliotheken auf der Republica lernen können, aufgeschrieben von Stephan Schwering.

Wirres.net hat von allen drei Tagen Zusammenfassungen.

Mehr Links zu mehr Blogposts bei BLN41.de.

Stefan Pfeiffer war beim Kanzlertalk auf der Republica dabei.