“Ich bin gesundheitlich am Arsch!” Das Video-Geständnis des Youtubers Miguel Pablo war nicht nur in seiner Wortwahl drastisch. Der junge Erwachsene (Jahrgang 1998) aus Paderborn zählt mit rund 670.000 Abonnenten durchaus zu den größeren deutschen Vertretern der Szene. Doch auf neue Videos werden seine Fans wohl erstmal warten müssen. Pablo befindet sich nach übermäßigem Drogenkonsum in psychiatrischer Behandlung, erklärt er in seinem neuen Vlog und muss nach eigener Aussage “starke Medikamente” nehmen. Ja, man kann sagen, er ist gesundheitlich am… Aber das hatten wir ja schon.

Youtube-Star sein, das war und ist für viele Kids von heute ein Traumjob. Auf Partys und Kinopremieren gehen, Stars treffen, ständig neue Klamotten und geile Reisen gratis, und, ach ja, ab und zu  halt mal ein paar Videos raushauen. So sieht das Leben der erfolgreichen Youtuber für viele der meist minderjährigen Zuschauer aus. Kein Wunder, dass sie immer früher damit anfangen, ihren großen Idolen nachzueifern. Miguel Pablos Zusammenbruch reißt nun für einen Moment den Vorhang beiseite. Das ständige Posen vor der Kamera hat seine Schattenseiten.  

Und Pablo ist nicht der einzige Online-Videostar, für den es derzeit ein böses Erwachen aus dem Traum “Youtube-Star” gibt. Wie Lars Wienand, Journalist der Funke-Gruppe, am Dienstag, 12. September, berichtete, wartet auf den notorischen Krawall-Youtuber ApoRed ein Haftbefehl. Der erfolgreiche Videostar (zwei Millionen Abonnenten) war nicht zu einem Gerichtstermin erschienen, bei dem er und eine zweite Person sich für einen geschmacklosen “Scherz” mit einer Bombenattrappe verantworten sollten. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft. Knast statt Klicks lautet wohl erstmal das Motto für den ohnehin nur mäßig talentierten Hamburger Ja-was-eigentlich. ApoRed muss nun endlich die Konsequenzen für seine hirnverbrannten Aktionen, im Fachjargon “Pranks” genannt, tragen.

Auch andere bekommen die Folgen ihres Tuns inzwischen zu spüren: Youtube ist nicht mehr der quasi rechtsfreie Raum wie noch in den Anfangszeiten. Erwachsene stehen nicht mehr kopfschüttelnd vor einem Medium, dass sie anscheinend nicht verstehen. Stattdessen greifen nun langsam die Spielregeln, die auch sonst in unserer Gesellschaft gelten. Der Fitness-Youtuber und Szene-Urgestein “Flying Uwe” bekam vor einigen Wochen Bescheid von den Landesmedienanstalten: Er hatte nicht gekennzeichnete Werbung in seinen Videos gemacht. Die Ausrede, es sei ja für die eigenen Produkte gewesen, ließ die Medienaufsicht nicht gelten. 10.500 Euro Strafe soll er nun bezahlen. Es war ein lange überfälliges Signal, dass Online-Videos in Sachen eben doch nicht die Grauzone sind, für die viele sie immer gehalten haben.  

Das Real Life schlägt zurück. Auf die eine oder andere Art. Nun zeigt sich: Es gibt kein Netzwerk, dass dich aus dem Gefängnis holt. Eine Influencer-Agentur besucht dich auch nicht im Drogenentzug. Und Geldstrafen lassen sich nicht durch neue Produktplatzierungen finanzieren. “Es läuft so vieles falsch in der Branche”, konstatierte Markus Hündgen vom Deutschen Webvideopreis angesichts des Falls von Miguel Pablo. Auf den Einzelfall bezogen, habe ich ihm widersprochen. Ein psychisch Kranker macht noch kein Branchenproblem. Aufs große Ganze gesehen, muss ich ihm recht geben. So sehr es nach erhobenem Zeigefinger klingt: Es geht hier um die Zukunft unserer Kinder.

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„Es gibt Regeln!“

Shit, sowohl Zuschauer als auch Videomacher sind meist noch im Teenageralter, manche noch jünger, wenn sie damit beginnen, in Social Networks aktiv zu werden. Sie kommen in eine Welt, in der fast ausschließlich Reichweite über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Gut ist, was viele Klicks bringt. Und geklickt wird, was irgendwie crazy ist. Youtube hat daraus erste Konsequenzen gezogen und (auf Druck der Werbeindustrie) damit begonnen, Trash-Inhalte von der Monetarisierung auszuschließen. Damit hat man zwar das alte Bock-Gärtner-Problem. Aber es ist ein Anfang. Doch etwas anderes ist weitaus wichtiger als die kostbaren Anzeigendollars von ein paar Großkonzernen.

Die ApoReds, Leon Macheres und Miguel Pablos dieser Welt gaukeln ihren Zuschauern eine Welt vor, in der es scheinbar keine Regeln gibt. In ihren Videos auf Youtube, Snapchat oder Instagram gebären sie sich wie Rapstars, posen vor dicken Autos, gehen auf Weltreisen und Roadtrips. Ohne Scheu und Scham stellen sie andere Menschen bloß (manchmal auch sich selbst),  missachten Persönlichkeitsrechte und Gesetze. Was inszeniert ist und was nicht, kriegen die Zuschauer in der Regel nicht mit. Was es für die Betroffenen bedeutet, die Opfer eines Pranks oder einer dämlichen Diss-Attacke werden, schon gar nicht. Stattdessen: Boah, voll krass, was die durchziehen! Daumen hoch, abonniert!

Die Logik, immer krassere Inhalte liefern zu müssen, muss durchbrochen werden. Und es muss klar sein, was Fake ist und was echt. Ob es nun um Werbung oder Inhalte geht. Da sind Netzwerke, Agenturen, Werbetreibende und Online-TV-Sender gleichermaßen gefordert. Doch viel wichtiger finde ich etwas anderes: Medienkompetenz ist die große Bildungsherausforderung unserer Zeit. Kinder haben immer früher mit Medien zu tun, sind ständig von ihnen umgeben und können potenziell schon im Grundschulalter selber Inhalte erstellen und verbreiten. Doch die Spielregeln der Mediengesellschaft lernen sie nicht. Das ist eine Aufgabe für uns alle. Sonst werden wir in Zukunft noch mehr Miguel Pablos erleben.

Nachdem der sich mit hilflosen Gesten, monotoner Stimme und ausdruckslosem Gesicht durch sein Drogenbekenntnis gekämpft hat, kündigt er ernsthaft an, schon bald wieder Videos für seine “Army” machen zu wollen: “Abonniert unbedingt meinen Kanal!” ist das letzte, was er seinen Zuschauern mit auf den Weg gibt, bevor es für ihn zurück in die Klinik geht. Nicht nur Miguel Pablo hat noch einen langen Weg vor sich.