Seit diesem Montag, dem 4. Dezember 2017, ist die Ära der frei und unabhängig produzierenden “Youtuber” offiziell vorbei. Mit einem auf den ersten Blick unspektakulären Blogpost hat Youtubes CEO Susan Wojcicki eine neue Ära in der Geschichte der Plattform eingeläutet. Youtube sieht sich nun offiziell selbst nicht mehr als reine Technologie-Plattform. Sondern als einen Publisher von Inhalten, der Verantwortung für das übernehmen muss, was auf seinen Vertriebskanälen passiert. Es ist ein radikaler Paradigmenwechsel, der weitreichende Folgen haben dürfte.

Überschrieben war die jüngste Veröffentlichung im offiziellen Youtube-Blog mit “Expanding our work against abuse of our platform”. Vordergründig ging es in Wojcickis Text um den Kampf gegen unangemessene Inhalte auf Youtube. Schon in der ersten Jahreshälfte war Youtube auf massiven Druck der Werbekunden härter gegen Trash-Content, Hassvideos und extremistische Botschaften vorgegangen. Nun zieht Google auf seiner Videoplattform die Daumenschrauben noch mal an.

Im Mittelpunkt steht dabei der berühmt-berüchtigte Algorithmus. Mit fortschrittlichster KI – “cutting-edge machine learning” in Wojcickis Worten – ist Youtube in den vergangenen Monaten gegen unangemessene und vor allem extremistische Videos vorgegangen. Und das offenbar erfolgreich: In ungewohnter Offenheit liefert Youtube gleich ein paar interessante Zahlen mit: Seit Juni wurden 150.000 extremistische Videos von Youtube entfernt. Aufgespürt wurden sie zu fast 100 Prozent vom Algorithmus. Grund genug für die Youtube-Chefin, diese Technologie nun flächendeckend einzusetzen, zum Beispiel auch beim Jugendschutz. Auch das ein Bereich, mit dem Youtube zuletzt arg zu kämpfen hatte.

Ob ein Inhalt tatsächlich anstößig ist, entscheidet aber nicht das System. Das tun in letzter Instanz echte Menschen. Als zweite wichtige Maßnahme will Google darum im kommenden Jahr die Zahl der Mitarbeiter, die fragwürdige Inhalte überprüfen, auf über 10.000 aufstocken. Dass Google nun endlich Verantwortung für die Inhalte auf Youtube übernimmt, ist natürlich nur zu begrüßen. Es geschieht freilich nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit. Das gesamte Geschäftsmodell von Youtube war in Gefahr. Immer mehr so genannte “Creator” hatten mit Trash-Content versucht, möglichst schnell viele Klicks zu generieren; Stichwort: Schleimbadewanne. Schon diese Entwicklung in Richtung “Assi-TV” fanden Werbekunden nicht so pralle.

Zuletzt waren dann auch noch vermehrt Fälle aufgetaucht, in denen offenkundig Kinder vor der Kamera entwürdigt und misshandelt wurden. Aber auch die Technologie von Youtube haben Ersteller fragwürdiger Inhalte missbraucht. Und im großen Stil keywordbasierte Gaga-Inhalte für Kinder produziert. Das Maß war also mehr als voll. Und jetzt macht Youtube ernst: Wojcicki spricht “von einem völlig neuen Ansatz, Werbung auf Youtube zu machen.” Strengere Richtlinien, mehr händische Auswahl von werbefreundlichen Videos (bzw. Ausschluss von ungeeigneten Clips) und, damit verbunden, mehr Mitarbeiter, die überprüfen sollen, in welchen Umfeldern Werbung auf Youtube läuft. Kurz gesagt: Youtube wandelt sich zum Gatekeeper seiner eigenen Plattform. Es ist das endgültige Ende des Partnerprogramms in seiner bisher bekannten Form.

Schon im Frühjahr hatte Youtube einen Schwellenwert von 10.000 Gesamtviews für Kanäle eingezogen, die überhaupt Werbung schalten dürfen. Außerdem hatten Werbekunden die Möglichkeit, bestimmte Inhalte für ihre Werbung auszuschließen. Mit unangenehmen Kollateralschäden: Kanäle, die sich mit politischer Bildung beschäftigten oder konsumkritische Inhalte hatten, wurde plötzlich, trotz guter Inhalte, der Geldhahn zugedreht. Ob die neuen Überprüfungsmechanismen die Situation für diese Creator verbessern werden, ist eine der spannenden Fragen. Leider wollte Youtube meine Nachfrage, wie man sich den neuen Werbeansatz konkret vorstellen muss, nicht beantworten.

Doch eins ist klar: Die Zeiten, in denen man fröhlich einen Kanal eröffnen konnte, und das “Youtube-Money” einfach nur abgreifen musste, neigen sich dem Ende zu. Erst, wenn Youtube grünes Licht gibt, kommt in Zukunft auch sicher Werbegeld rein. Ansonsten benötigen Creator alternative Erlösquellen. Auch in Zukunft darf jeder auf Youtube senden. Nur Geld zu verdienen wird nicht mehr ganz so einfach wie bisher. Wenn das allerdings bedeutet, dass sich jetzt nicht mehr mit jedem hirnverbrannten Bombenprank auch noch Kohle machen lässt, bin ich geneigt zu sagen: Es ist nicht alles schlecht an dieser Änderung.

Wojcickis Ankündigung ist aber noch aus einem anderen Grund bedeutsam: Er markiert die offizielle Abkehr vom “Wir-sind-ja-nur-ein-Technologie-Anbieter”-Argument. Wojcicki bekennt sich explizit dazu, Verantwortung für die gesendeten Inhalte übernehmen zu wollen: “Wir tun das, weil es das Richtige ist.”

Welche Folgen diese Äußerung wirklich hat, lässt sich noch nicht endgültig beurteilen. Aber sowohl Medienregulierung als auch Wettbewerber werden Youtubes neues Selbstverständnis mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Wie es aussieht, ist aus Youtube nämlich endgültig das geworden, was zumindest die Creator nie wollten: Ein ganz normaler Fernsehsender.