So viel Fachwissen, Talent und Kreativität in Sachen Digitale Medien, geballt an einem Ort, habe ich lange nicht mehr erlebt. 41 junge Menschen waren am 18. und 19. Juni dem Aufruf von ARD und ZDF zu einer “Case Challenge” gefolgt. Ziel der Übung: Wege und Konzepte zu erarbeiten, wie das immer noch unter dem Arbeitstitel laufende “Junge Angebot” der Öffentlich-Rechtlichen auf den Weg zum Erfolg gebracht werden kann. Ob dieses Ziel erreicht wird, werden die kommenden Monate zeigen. Optimismus ist aber durchaus angebracht. In diesem Blogbeitrag erkläre ich warum.

Bevor ich mich den positiven Eindrücken des Wochenendes widme, will ich zunächst auf die Dinge eingehen, die einen negativen Beigeschmack hinterließen. Und damit meine ich nicht das, sagen wir, unambitionierte Catering der Veranstaltung. Aber wenn schon keine Reisekosten übernommen werden, hätte wenigstens das Essen top sein können. Womit ich beim eigentlichen Kritikpunkt bin. Schon im Vorfeld hatten einige Nutzer dem Jungen Angebot vorgeworfen, mit dieser Veranstaltung geile Ideen for free abzapfen zu wollen. Jeder der 41 Teilnehmer*innen reiste auf eigene Kosten an, opferte ein ganzes Wochenende für ein immerhin 45 Millionen Euro schweres Megaprojekt des gebührenfinanzierten Fernsehens. Ich hatte das Gefühlt, dass auch im Nachhinein nicht jeder so richtig wusste: “Wofür habe ich das alles eigentlich gemacht?”

Florian Hager, Chef de Mission des Jungen Angebots, gab sich viel Mühe, den Eindruck der Ausnutzung zu entkräften: “Sobald wir Ergebnisse dieses Wochenendes verwenden, gehen wir mit den entsprechenden Leuten auch eine Geschäftsbeziehung ein”, versicherte er zur Begrüßung. Ich schätze Florian sehr und will ihm das gerne abnehmen. Dennoch hoffe ich, dass Veranstaltungen unter diesen Umständen nicht zur Regel werden. Sie senden insgesamt ein falsches Signal in die Arbeitswelt der Medien. Dann lieber ein paar Leute weniger einladen, um im Kostenrahmen zu bleiben. Was aber gerne Schule machen darf: Dass sich Öffentlich-Rechtliche nach außen öffnen und den Dialog mit dem Rest der Welt suchen.

Diese Kultur wird beim Jungen Angebot hervorragend gelebt. Die Glasfront eines der loftigen Büros im 22. Stock der Bonifaziustürme in Mainz war über und über mit bunten Kritzeleien übersät. Überbleibsel des Besuchs einer Schulklasse ein paar Wochen zuvor. Florian Hager und seine Crew wollen offenkundig genau wissen, wie die Zielgruppe tickt. Im Laufe des Wochenendes bekamen wir dazu eine sehr detaillierte und fundierte Zielgruppenanalyse ausgehändigt. Bauchgefühl, Feldstudien und Wissenschaft gehen hier eine ganz gute Beziehung ein, finde ich.

Auch darum gehen für  mein Gefühl die ersten Inhalte, die wir gezeigt bekamen, in die richtige Richtung. Rayk Anders, einer der ersten Signings für das Junge Angebot, hatte schon beim Talk auf der Media Convention im Rahmen der Republica TEN einen guten Eindruck hinterlassen. Auch der Look der geplanten Webserie “Wishlist” gefiel. Die, ich nenne sie jetzt mal, Cyber-Serie wird sich um ein Social Network drehen, das anscheinend jeden Wunsch erfüllen kann, in Wahrheit aber unser ganzes Leben überwacht und kontrolliert. Das klingt nicht nur zeitgemäß, auch die Umsetzung sah gut aus.

Was mich allerdings wirklich positiv stimmt, ist, dass man an allen Ecken und Enden spürt, dass hier Leute werkeln, die sich in Sachen Digitale Medien wirklich auskennen. Es war für mich eine sehr erfrischende Erfahrung, mal wieder auf hohem Niveau über diese Themen zu diskutieren. Ich erinnere mich noch gut, in welchem Zustand Uniabsolventen in den Jahren 2013 und 2014 bei Mediakraft für Bewerbungsgespräche aufgeschlagen sind. Da kamen Menschen unter 30 rein, die irgendwas mit Medien studiert hatten und keine Ahnung hatten, wer Y-Titty oder ApeCrime waren. Geschweige denn, wie ein YouTube-Netzwerk funktioniert. Die hatten sich bei einem Unternehmen beworben und konnten nicht erklären, wie das Geld verdient wurde, von dem ihr Gehalt bezahlt werden sollte. Wir hatten 18-jährige Praktikant*inn*en, die mehr drauf hatten! Ein paar Jahre später sind die Praktikanten von damals selber mit der Uni fertig und schreiben ihre Masterarbeit über die Werbemethoden von Streamern auf Twitch. Und genau dieser Nachwuchs schlägt jetzt beim Jungen Angebot auf. Mit meinen 35 Jahren wäre ich um ein graues Haar Alterspräsident geworden. Sehr gut! Die motivierten Teilnehmer lieferten innerhalb kürzester Zeit gif-tastische Präsentationen dazu ab, wie das noch zu erstellende Programm an die Zielgruppe gebracht werden kann.

Damit sind wir endlich bei den Inhalten des Workshops. Zu Anfang des Wochenendes wurden wir in sechs Gruppen eingeteilt. Der Arbeitsauftrag war im Grunde einfach: Wie schafft man es, junge Menschen dazu zu bringen, sich die Formate des Jungen Angebots reinzuziehen, wenn sie denn mal da sind? Ich will jetzt nicht die Ergebnisse im Detail vorstellen. Aber das sind die Themen, die ich für mich mitgenommen habe, und die die Strategieplaner in den kommenden Monaten am meisten beschäftigen werden.

  • Der fluide Sender

Ich glaube, vielen Menschen ist die Tragweite des Jungen Angebots noch immer nicht klar. Das erste Mal in Deutschland geht ein neuer TV-Sender an den Start, der nicht linear zu empfangen ist. Das ist der größte Umbruch in der hiesigen TV-Landschaft seit der Einführung des Privatfernsehens. Glotze einschalten und sich berieseln lassen? Gibt’s nicht, geht nicht. Unter dem Dach eines Senders entsteht ein fluides Programm, dass in ganz viele verschiedene Plattformen fließen wird. Im besten Fall flutschen die neuen Formate wie selbstverständlich in die Timelines der Zuschauer und fügen sich geschmeidig in die bestehenden Angebote ein. Im schlechtesten Fall zerfließt das Programm wie Eis in der Sonne, und die Zuschauer ärgern sich über die klebrige Suppe, die ihnen da über die Finger läuft. Viel wurde in den letzten Jahren vom Fernsehen der Zukunft geredet. Beim Jungen Angebot wird man erstmals einen Eindruck davon bekommen, wie es aussehen könnte. Und hoffentlich, wie es gut funktioniert. Allein das wird hochspannend.

  • Die Generationen-Falle

Ganz viel haben wir in unserer Gruppe diskutiert, welchen Zuschauern das Angebot gefallen darf. Schon bei der Media Convention hatte ein Zuschauer gesagt: “Ich bin 48 und mir gefällt euer Angebot. Macht euch das Angst?” Florian Hager hatte ganz lässig mit “Nein.” geantwortet. Zurecht. Angst muss er ja auch nicht haben. Natürlich dürfen auch Ältere das Programm gut finden. Aber mit Sicherheit bekommt das Junge Angebot ein Problem, wenn es zu viel Lob von den Über-30-Jährigen gibt. YouTube vor zehn Jahren und jetzt Snapchat haben sich auch deshalb durchgesetzt, weil Jugendliche sicher sein konnten: “Meine Eltern verstehen das nicht. Das ist unsere Welt.” Wenn das Junge Angebot keine Chance bietet, sich von den Medien der “Alten” abzugrenzen , wird es einen schönen, von Kritikern gefeierten Tod sterben. Viele gehen davon aus, dass das Junge Angebot zum Start erstmal einen Shitstorm abbekommen wird. Das kann gut sein. Die Frage ist, aus welcher Richtung er kommen wird. Wenn zum Start des Jungen Angebots ein Hinterbänkler der CSU-Bundestagsfraktion lautstark den Untergang des Abendlandes verkündet und das Gebührenfernsehens abschaffen will, ist man sicher auf einem guten Weg.

  • Die Innovations-Herausforderung

Das ist das härteste Eisen, dass es zu biegen gilt: Hallo YouTube, Snapchat, Facebook, wir sind jetzt auch hier, wird zu wenig sein. Dann wird man in der Masse untergehen. Der Kampf um die Aufmerksamkeit in Sozialen Netzwerken gleicht einem Marathon im Vollsprint, auf dem alle 500 Meter ein Boxkampf mit einem Schwergewichtsweltmeister wartet. Das Junge Angebot konkurriert dort mit Maker Studios, vulgo Disney. Es konkurriert mit den Netzwerken der Bertelsmanngruppe. Kurz: Im Wettbewerb sind die ganz großen Player im Feld. Wer da bestehen will, – und es tut mir leid, dass ich jetzt eine Fußballanalogie bemühe – muss wie Mainz 05 gegen Bayern München sein und eindeutige Wettbewerbsnachteile mit gutem Scouting und innovativen Ideen wettmachen. Beispiel App: Die mobile Version des Jungen Angebots muss krachen und Dinge können, die keiner sonst kann. Es geht nicht anders, sonst wird sie ein Rohrkrepierer. Am Wochenende wurde sie uns vorgestellt als Mischung aus “Tinder, Facebook, Snapchat und Pinterest”. Wenn sie so kommt, wie beschrieben, könnte sie tatsächlich ein erster Überraschungserfolg werden.

Noch besteht das Junge Angebot aus einem großes Büro in dem ein paar junge Menschen an zu vielen Arbeitsplätzen sitzen. Doch die leeren Schreibtische werden sich bald füllen. Und eins kann ich versprechen: Die Aussicht von dort oben ist fantastisch.