Die Kommunikation der CDU in Sachen “Rezovideo” ist ein Desaster. Das “Gesprächsangebot” der Union wird der Youtuber hoffentlich ausschlagen.
Ich habe ja so meine Erfahrungen mit Youtuber-Shitstorms. Ich war Ende 2014 Pressesprecher bei Mediakraft, als Simon Unge unter dem Hashtag #Freiheit seine Community auf das Unternehmen losließ. Ich will jetzt keine ollen Geschichten wieder rauskramen. Aber ich erinnere mich noch gut, was damals bei Mediakraft alles schief gelaufen ist. Und ich glaube, einiges davon jetzt auch bei der CDU wiederzuerkennen, zum Beispiel das zögerliche, leblose und offenkundig von einer Kommunikationsagentur hingefloskelte Statement. Mediakraft hat sich von dem Unge-Shitstorm nie wirklich erholt und in der Folge seine Marktführerschaft als größtes Youtube-Netzwerk in Deutschland verloren. Heute ist das Unternehmen praktisch bedeutungslos für den Markt. Das lag am Ende nicht an Unge. Der war lediglich die Abrissbirne, die in ein ohnehin einsturzgefährdetes Gebäude ballerte. In diesem Sinne steht der Union ein ordentlicher Stabilitätstest bevor.
Wo war Amthor?
Die Außendarstellung der CDU in der Sache “Rezo” ist jedenfalls eine eindrucksvolle Aneinanderreihung von Peinlichkeiten, Ignoranz und Inkompetenz. Es begann mit hämischen Kommentaren und Äußerungen über “irgendeinen Youtuber”, der in seinem Leben noch nichts geleistet habe. Dann vergaloppierte sich die Partei mit einem angeblich vorbereiteten Antwortvideo der “Geheimwaffe” Philipp Amthor, den irgendwelche Kommunikationsprofis bei der Union offenbar als internetkompatibel ausgemacht hatten. Schließlich hatte Jan Böhmermann mal eine, zugegebenermaßen gelungenen, Bundestagsrede Amthors auf Twitter verbreitet. Sowas reicht in der Union wahrscheinlich als Kompetenznachweis in Sachen Internet. Nun, irgendwer war schlau genug, Amthor rechtzeitig aus der Schusslinie zu nehmen, womöglich er selbst. Ansonsten hätte man wohl ein vielversprechendes Polit-Talent ohne Not dem Social Media-Mob zum Fraß vorgeworfen. Keine gute Idee, und wohl die einzig kluge Entscheidung der CDU in dieser Sache.
Viel besser: Man wirft einen Generalsekretär dem Mob und den Medien zum Fraß vor. Ist ja auch irgendwie dessen Job. Und so eilte Paul Ziemiak tapfer von Kamera zu Kamera, um den Menschen in Deutschland, vor allem aber den eigenen Wählern zu versichern: “I got this. Ist nur ein Youtuber. Bitte gehen sie weiter, hier gibt’s nichts zu sehen.” Währenddessen sammelte Rezos Video weiter Klicks, Likes und vor allem Kommentare. 115.000 (!) sind es zum Zeitpunkt, als ich diesen Blogpost schreibe, bei sechs Millionen Views und satten 670.000 Likes. Es sind brachiale, nie dagewesene Zahlen in Youtube Deutschland. Zum Vergleich: Das Kanzlerinnen-Interview von LeFloid aus dem Jahr 2015 hat ähnlich viele Views wie das Rezo-Video. Darunter stehen rund 32.000 Kommentare. Eines der erfolgreichsten Video von Bibis BeautyPalace heißt “10 Arten von Pärchen”, hat 16 Millionen Views und 10.000 Kommentare.
Deine Mudda guckt Rezos Video
Fehler Nr. 1 der CDU war, Rezo und seine Power kolossal zu unterschätzen. Immerhin macht Rezo mit seinen beiden Kanälen rund 15 Millionen Views im Monat. Und mit seinem neusten Video erreicht er inzwischen nicht nur die typischen Youtube-Zuschauer, sondern Menschen aller Generationen. In die Kommentare unter dem Rezo-Video hätte die Union jedenfalls besser mal reingeguckt. Dann hätte sie gesehen, dass dort inzwischen dutzende, wenn nicht hunderte Menschen jenseits der 50 mitdiskutieren. Hier sind ein paar:
Userin Ilse Dietel: Seit Jahrzehnten ärgere ich mich über die Gleichgültigkeit der Politker . Alles wird christlich zugedeckt. ( ich bin 78 Jahre alt) Bravo für dieses Video.
Josef Dotschkal: Bravo Bravo Bravo Bin ein 71 jähriger Rentner und muss dir in allen Belangen recht geben .Es wird Zeit das sich etwas ändert.Packen wir es an.!!!! Es geht um eure Zukunft.!!!!
Wolfgang Riedel: Du bist ein Held und ich bin 56 Jahre alt.
Frank E. Meyer: Ich werde bald 60, aber hab seit Jahrzehnten keine so klaren Worte mehr gehört. Danke Rezo. Die Alten habens „verkackt“, es liegt jetzt an den Jungen das Ruder nochmal herumzureißen.
Karin Lenz: Ich bin fast 70 und obwohl aus Bayern noch nie Schwarzwähler. Ich finde deine 55 Minuten wirklich überragend und der Wahrheit dienlich und hab den Beitrag fleißig geteilt. Schade nur, dass du die deutsche Sprache dermaßen was von verballhornst, da könnte man auch mal dran arbeiten.
Es ist irre, wie Rezo hier Wirkung über seine angestammte Zielgruppe hinaus erzielt. “Zeigt das Video euren Eltern und Großeltern”, hat er seine Zuschauer aufgefordert. Und die haben offenbar Folge geleistet und Rezo damit in völlig neue Sphären der Bekanntheit gehoben. Dieses Video hat sich in einer Art und Weise verselbständigt, wie ich es in Deutschland auf Youtube noch nicht erlebt habe. Es ist ein Video für die Ewigkeit, über das wir auch noch in ein paar Jahren reden werden. Und dessen Folgen die CDU noch lange spüren wird. Sollte die Union jedenfalls denken, dass das Rezovideo sich in ein paar Tagen von selbst erledigt haben wird: Think again!
Am Ende nur ein PDF
Mit dem blutarmen Statement, das die Union am Donnerstag, 23. Mai, auf ihrer Webseite veröffentlicht hat, wird sie die Diskussion jedenfalls nicht beenden. Mit Sicherheit sind bei der Parteispitze alle hochzufrieden mit diesem Musterbeispiel an 08/15-Krisen-PR, das zwar 588 Wörter umfasst, aber mit keiner Silbe auf das eingeht, was Rezo in seinem Video kritisiert. Voll mit uninspirierten und blutarmen Floskeln, geschrieben für Journalisten und die eigene Parteiklientel, ist dieses Machwerk eine Mischung aus Eigenlob, Polemik und Nebelkerzen. Das man es nicht geschafft hat, in fünf Tagen ein vernünftiges Antwortvideo auf die Beine zustellen? Ja, nee, weil, damit macht man ja “Politik zum Spektakel.” Euer Ernst, CDU? Da wird mir ehrlich schlecht bei diesem nichtssagenden Wortgeklingel, das Rezos Video auf niederträchtige Weise als populistisch brandmarken und dabei vernebeln soll, was eigentlich bei Euch los war: Ihr habt ein Video gemacht, das war so schlecht, dass ihr es nicht veröffentlichen konntet! Am Ende hat es leider nur zu einem PDF gereicht.
Begleitet wird der verbale Komposthaufen von einem Gesprächsangebot des CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak an Rezo, tollpatschig übermittelt in einer siebenteiligen Serie von Tweets, in der Onlineprofi Ziemiak es nicht schaffte, seine Tweets sauber zu einem Thread zu bündeln, sondern jeden einzeln abschickte als hätten wir immer noch 2015. Egal, dies nur als Randnotiz aus Neuland. Dieses „Gesprächsangebot“ ist natürlich ein PR-Stunt erster Güte, ein bewährtes wie durchschaubaren Manöver der Krisenkommunikation, und letztlich widerwärtiges, politisches Schmierentheater. Ziemiak will den Anschein erwecken, der Ball liege jetzt bei Rezo. Das schäbige Kalkül der CDU: Wenn Rezo nicht kommt, haben wir sowieso gewonnen. Weil, dann ist ja der Youtuber der Böse, weil er unser Gesprächsangebot ausgeschlagen hat. Wenn Rezo aber kommt und sich auf ein, ja was eigentlich? Ein TV-Duell?, einlässt, dann haben wir ihn da, wo wir ihn haben wollen. Denn im direkten Gespräch, da können wir ihn mit unserer Willner-Plassberg-gestählten Talkshow-Rhetorik locker aufs Kreuz legen. Die CDU will Rezo auf ihr Spielfeld locken. Das wird nicht funktionieren. Nicht Rezo ist hier mit der Union eingesperrt. Die Union ist mit Rezo eingesperrt.
Das Gespräch hat längst begonnen
Denn Eins hat Ziemiak übersehen: Das Gespräch, zu dem er Rezo erst jetzt, nach tagelangem öffentlichem Druck einlädt, das läuft doch schon längst. Die einzigen, die nicht mitreden wollen, sind die Leute bei der CDU. Die Diskussion ist im Gange, seit Rezo sein Video veröffentlicht hat. Zur Erinnerung: 115.000 Kommentare stehen bereits darunter. Jeder kann dort mitdiskutieren und sich äußern. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn sie mal fertig ist mit Plagenzählen.
Von der SPD hat es der Europaabgeordnete Timo Wölken bereits geschafft, souverän, sachlich und auf Augenhöhe mit der Zielgruppe auf Rezo zu antworten. Wölken gelingt das, was die CDU seit Tagen nicht hinkriegt: Er redet mit Rezos Zuschauern in ihrer Sprache und so, dass sie ihn verstehen. Er wiegelt nicht ab. Er macht niemanden lächerlich. Stattdessen antwortet er dem Youtuber Rezo wie es sich gehört: Auf Youtube. Das ist auch kein Populismus und kein “Spektakel”, wie die CDU in ihrem mit jedem Lesen erbärmlicher klingenden Statement behauptet. Das ist einfach politische Diskussion via Online-Video. Muss man nur können, dann ist es gar nicht so schwer. Dass Wölken das kann, liegt daran, dass er seit 2016 mehr als 120 Videos auf der Plattform veröffentlicht hat und gerade die 40.000 Abonnenten-Marke übersprungen hat. Wölken ist von der Youtube-Community als politischer Gesprächspartner akzeptiert. Aber dieses Standing hat er sich über einen langen Zeitraum erarbeitet, weil er irgendwann gesagt hat: Ich gehe jetzt auf Youtube. Nun kann er der jungen Zielgruppe glaubwürdig sagen: Ich bin da, wo ihr mich haben wollt. Nicht umgekehrt. So, wie es sich für einen Politiker gehört, der mit seinen (potenziellen) Wählern ins Gespräch kommen möchte.
Die CDU sollte Rezo dankbar sein
Nein, liebe CDU, Rezo muss eure Gesprächseinladung nicht annehmen. Und wird das hoffentlich auch nicht tun. Ihr solltet Rezo dankbar sein, für die Chance, die er euch gegeben hat. Mit seinem Video hat er euch die Tür geöffnet, um mit jungen Wählern, mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen. Etwas, womit ihr euch seit Monaten erkennbar schwer tut (hust, Artikel 13, hust, FridaysforFuture, hust…). Rezo hat euch den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt. Aber ihr habt nicht mal den Eingang ins Stadion gefunden! Am Ende geht es hier doch gar nicht um ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger Armut. Oder um das korrekte Berechnen von Bildungsausgaben. Es geht nicht um Zahlen in PDF-Dokumenten. Das ist das große Missverständnis, dem ihr erlegen seid. Und darin liegt der Hauptgrund, warum ihr in diesem Shitstorm selber grandios verkackt habt.
Rezo und seine Zuschauer möchten einfach, dass ihr euch hinsetzt, euch anhört, was junge Leute zu sagen haben und dann was macht. Also wirklich: Was tun! Keine erneuten Laberrunden, in denen ihr euch rauswinden könnt mit irgendeinem Geblubber von wegen “Wir als CDU sind stolz darauf, was wir, die Partei von Adenauer, Kohl und Merkel und die Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahrzehnten für unser Land und die Menschen in Deutschland erreicht haben.” Seid stolz drauf, ist OK. Aber den Rezos da draußen geht es nicht mehr um die Vergangenheit. Ihr sollt euch um die Zukunft kümmern.
Super Kommentar, danke. Gerade den letzten Abschnitt finde ich wichtig.
Ich entdecke gerade eine hochinteressante neue Welt!
Aber warum muss rezo nicht auf das Gesprächsangebot eingehen? Das will mir nicht in den Kopf!
Offensichtlich trifft rezo eine Stimmung und erfährt viel Zuspruch – alles cool! Viele solidarisieren sich mit ihm etc. pp – alles noch cooler! Aber dann sagt man, ja alles super cool, es ist aber nicht so einfach, lass uns mal drüber reden, warum vieles was Du da ansprichst so ist, wie es ist. Und dann sagt er – und andere ermutigen ihn auch noch – nee lass mal, hab‘ kein Bock zu reden! Wat soll dass denn? Ich meine dann wollte er sich wohl einfach nur mal auskotzen, aber es geht ihm eigentlich nicht um Veränderung oder was?
Oder darf man nur via Videostatements antworten, weil andere Formen der Kommunikation ja was denn, veraltet oder runcool sind?
Kleiner Nachtrag:
Ich verstehe ja das mit dem Spielfeld, also das rezo sich nicht auf ein Spielfeld begeben will, auf dem die anderen geübt sind und er nicht. Aber ist eine asynchrone Videostatementkommunikation wirklich einem face-to-face-Gespräch überlegen? Also ich meine jetzt zwecks Erkenntnisgewinn für alle?
Was vom rezo-rant und Deinem Kommentar dazu übrig bleibt – und das schreibst Du ja auch – da will niemand reden, es ist kein Interesse da, warum die CDU die Politik macht, die sie macht, man will denen keine Gelegenheit geben, sich zu erklären und falls sie es tun sagt man nur, oh my god wie uncool, man will, das sie andere Politik machen. Schön und gut, will ich ehrlich gesagt auch, aber so kann doch keine Debattenkultur aussehen!
Meiner Meinung nach ist eine asynchrone Videostatemantdiskussion die bessere. An sich dauert sie länger aber für mich als Zuschauer ist sie strukturierter und auch die beiden teilnehmer einer solchen Kommunikation können leichter auf jedes einzelne Argument der Gegenseite antworten ohne den anderen Aussprechen lassen zu müssen da sie einfach das Video das anderen pausieren können und dann dazu ihre Meinung sagen.
Beides hat seine Vorteile. Der offene Schlagabtausch zeigt, wer seine Positionen auch unter Druck verteidigen kann, wessen Argumente gefestigter sind, lässt aber auch so manche Gemeinsamkeit zu Tage treten, die nur durch den persönlichen Kontakt zustande kommt. So werden Fronten aufgelöst und man findet den nötigen Kompromiss. In einer asynchronen Diskussionen können mehr Leute einsteigen, sie ist nachvollziehbarer, aber manchmal auch im Ton härter. Und niemand ist gezwungen, seine Positione zu überdenken, weil man sich immer in der eigenen Komfortzone befindet.
Erstmal danke für die beiden Kommentare. Ich verstehe auch deinen Punkt und halte es für wichtig, dass man früher oder später auch mal zusammen an einem Tisch sitzt. Üblicherweise stellt man nämlich dann erstmal fest, dass man gar nicht so weit auseinander liegt, wie man gedacht hatte. Momentan sehe ich aber vor allem die Altparteien SPD und CDU (und auch die FDP) in Ritualen politischer Kommunikation erstarrt. Es werden „Runde Tische“ einberufen, „Vier-Augen-Gespräche“ geführt oder, wenn man es volksnah möchte, „Stammtische“ initiiert. Nichts davon lässt aber erkennen, dass aus solchen Gesprächen wirklich politische Handlungen entstehen. Dieses Vertrauen haben die genannten Parteien in den vergangenen Jahren verspielt. Deswegen glaube ich, dass vor einem Gespräch erstmal etwas kommen muss, dass Handlungsbereitschaft signalisiert. Es gibt noch so eine Politikerfloskel vom „ergebnisoffenen Gespräch“. Nichts ist schlimmer als das. Das heißt: Wir reden, aber machen nix. Die CDU möchte Themen und Probleme gerne wegdiskutieren. Wichtiger wäre meiner Ansicht nach, ein konkretes Ziel wie einen Parteitagsbeschluss am Tag X zu setzen, auf das hingearbeitet wird. Und dann sind Gespräche auch zielführend.
❤️Excellent