Mit der Story “Ströer kauft Webvideopreis” ist Broadmark ein kleiner Scoop gelungen. Zwar gab es zwischen dem Vermarkterriesen und der European Webvideoacademy schon im vergangenen Jahr eine enge Zusammenarbeit. Doch dass Ströer über seine Tochter “Media Ventures” nun die Mehrheit an der EWVA übernimmt, ist schon eine kleine Überraschung.

Der Deal ging geräuschlos über die Bühne, es gab keine Pressemitteilung, kein Statement von offizieller Seite. Erst entsprechende Änderungen im Facebook-Profil des Webvideopreises verriet den aufmerksamen Kollegen bei Broadmark, dass da was im Busch war.

Warum die Geheimniskrämerei? Angst vor einem Shitstorm habe man keine gehabt, hat mir EWVA-Chef Markus Hündgen auf Nachfrage im Facebook-Chat geantwortet: “Nur ist auf die Kacke hauen nicht so unser Ding.” Understatement war tatsächlich schon immer ein Markenzeichen der European Webvideoacademy, die doch längst zu den ganz großen im Social Media-Geschäft in Deutschland gehört. Der aufwändige Webvideopreis ist das Aushängeschild, verdient wird mit Beratung, und zwar bis in die höchsten Kreise. So ist der äußerst ansprechende Facebook-Auftritt der Bundesregierung ein Ergebnis des Wirkens von Markus Hündgen und seinem Partner Dimitros Agirakos.

Viel Wind wird um dieses Premium-Geschäft nicht gemacht. Eine offizielle Homepage der EWVA gibt es bis heute nicht. Nach außen existiert vor allem der Webvideopreis und eine Partnerschaft mit der Film- und Medienstiftung NRW, in deren Rahmen Nachwuchs-Filmer gefördert werden. Ansonsten bekommt man nicht viel mit von den Düsseldorfer Bewegtbild-Profis. Understatement eben. Geschadet hat es nicht.

Nun also Ströer. Aus deren Sicht ergibt der Deal viel Sinn: Die Webvideopreis-Gala garantiert jährlich wiederkehrende Aufmerksamkeit. Auch und gerade für die eigenen Stars hat man damit eine exzellente Vermarktungsplattform. Hier lassen sich Synergien galore schaffen. Dazu kommt das erfolgreiche Digitalgeschäft der EWVA als Social Media Agentur. Mein (nicht sehr gewagter) Tipp: Die Wette, die Ströer hier eingegangen ist, gilt nicht nur für den Webvideopreis. Die Investoren wollen auch die immense Digital- und Bewegtbildexpertise der EWVA versilbern. Doch was bedeutet der Deal für den Webvideopreis? Wird der nun an Glaubwürdigkeit verlieren? Ist er jetzt “der TubeOne-Preis”?

Zumindest letzteres glaube ich, ausschließen zu können. Seit es den Webvideopreis gibt, wird ihm von der Trollo-Community vorgeworfen, irgendwelchen Interessen unterworfen zu sein. Für mich als damaligem Pressesprecher besonders schön war natürlich die “Mediakraft kauft Webvideopreis”-Phase, die von 2013 bis 2014 andauerte. Nichts hätte von der Realität weiter entfernt sein können. Entstanden ist dieses Gerücht dadurch, dass mit Christoph Krachten einer der Initiatoren des Webvideopreises auch Mitgründer von Mediakraft wurde. Dabei hatten sich nach der Preisverleihung 2012 die Wege getrennt. Mediakraft hatte nie Einfluss auf die Preisvergabe. Auch das Engagement von Endemol-Manager Rainer Laux als Mitgesellschafter der EWVA hat nicht dazu geführt, dass es plötzlich Preise für Endemol-Creator gehagelt hätte.

Tatsächlich sehe ich den Webvideopreis in diesem Jahr vor ganz anderen Herausforderungen. Die größte wird darin bestehen, die immer größere Vielfalt von Online-Video ordentlich abzubilden. YouTube verliert an Bedeutung. Facebook ist als Videoplattform inzwischen genauso wichtig wie der frühere Platzhirsch. Und Snapchat verändert die Sehgewohnheiten gerade so radikal, wie das YouTube mal in seinen besseren Zeiten gemacht hat. Ach ja: Vine und Instagram sind auch noch da. Irgendwie. Der Webvideopreis wollte nie ein reiner “YouTuber-Preis” sein. Dennoch verdankt er einen Großteil der Aufmerksamkeit, die ihm inzwischen  widerfährt, den Creatorn und der YouTube-Community. Auf die wird man auch im Jahr 2016 angewiesen sein.

Aber was genau ist der Webvideopreis eigentlich? Machen wir eine kleine Zeitreise: In den zwei Anfangsjahren war noch deutlich der Einfluss von Jury-Präsident Mario Sixtus spürbar, einst Erfinder des Elektrischen Reporters, Urgestein der deutschen Netzgemeinde und den Öffentlich-Rechtlichen nahe stehend. Unter dessen Ägide kamen die Preisträger aus der Blogger- und Videokünstler-Szene. Preisträger wie “140 Sekunden” waren eher Republica-Stars statt YouTube-Stars. Nischig. Nett. Nahezu unbekannt. Der Webvideopreis ein zweiter Grimme-Online-Award?

Das änderte sich 2013. LeFloid gewann seinen ersten Webvideopreis. Anstelle der braven TV-Redakteure des Österreichischen Rundfunks waren jetzt DieLochis und ApeCrime nominiert. Die Fans der YouTube-Stars kaperten das Voting-System der Veranstalter und machten den WVP zum Community-Event. Plötzlich standen kreischende Teenies am Einlass vom Düsseldorfer Capitol und balgten sich um die besten Plätze für Autogramme von Aussenseitern, ApeCrime und Co. Es gab erstmals eine Bühnenshow, die dieses Prädikat verdiente. Also lieber Bravo Otto statt Grimme-Preis?

Falsch! 2014 setzten Hündgen und Agirakos den Benchmark für alle folgenden Veranstaltungen. Joko und Klaas moderierten eine unvergessliche Gala. Zweifelhafter Höhepunkt: Einer aus der insgesamt nur mit mangelhaften Manieren ausgestatteten Entourage des dreifachen Preisträgers “Kollegah” zog auf der Bühne blank. Das “Würstchengate” war kein schöner Anblick, brachte den WVP aber endgültig in die Schlagzeilen des Boulevards (“Penis-Alarm!”). Derweil diskutierte die Community, ob der Musiker Kollegah überhaupt “ein echter YouTuber” sei. Es war herrlich! Da ging fast unter, dass es mit Fewjar, BullshitTV und Dr. Allwissend auch ein paar sympathische Preisträger gab. Der Webvideopreis ein neuer MTV-Award?

2015 dann wieder alles neu: Neue Kategorien, neues Votingsystem und erstmals seit Sixtus wieder mit einer Präsidentin an der Spitze der Jury. Marie Meimberg von 301+ übernahm den Job. Was natürlich erneut Verschwörungstheorien nach sich zog (“301+-Preis!”). Deren Anspruch: Wieder mehr Anspruch! Die hippen Kategorien “LOL”, “FYI” und “VIP” verschwanden. Nun wurden ganz klassisch bester Schnitt, beste Bildgestaltung und bestes Drehbuch ausgezeichnet. Insgesamt 19 (!) Kategorien machten die Veranstaltung nicht unbedingt übersichtlicher, dafür gab es viele Preisträger zu bejubeln. Trotzdem (oder gerade deswegen?) ging es erstmals ins Fernsehen. Die ARD übertrug die Preisverleihung live und hoffte auf junges Publikum, das hoffentlich merkt, dass man mit diesem viereckigen Ding im Wohnzimmer auch was anderes als Konsole zocken kann. Der Webvideopreis auf dem Weg zum neuen Fernsehpreis?

Konstant beim Webvideopreis ist nur die Veränderung. Er ist ein Chamäleon. Wandlungsfähig, manchmal schillernd, die Augen in alle Richtungen gedreht. Das einzige, was Markus Hündgen für 2016 ankündigt ist: “Disruption.” Vor einigen Monaten weilten er und sein Partner Agirakos in den USA und besuchten dabei auch eine der renommiertesten Preisverleihungen der Welt. Die Zeit für Understatement, sie könnte bei der EWVA bald vorbei sein. Der Webvideopreis der europäische Emmy-Award? Das würde sicher auch dem neuen Investor gefallen.