Zum Glück sind Heiko und Roman Lochmann echte Videodays-Veteranen und nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Auch nicht von technischen Problemen, die dazu führten, dass die Zwillinge zehn Minuten lang wie bestellt und nicht abgeholt auf der Bühne der Halle Tor 2 ausharren mussten, bevor sie endlich mit ihren Songs das Publikum von den Sitzen reißen durften. Der Auftritt von He/Ro, wie sich die Lochmann-Zwillinge jetzt nennen, passte zum Abend. Ja, es gab ein paar Pleiten, Pech und Pannen bei der Verleihung der VD-Awards auf den Videodays 2022. Aber am Ende hat es gerockt! Trotz der Fehlschläge hatte ich am Ende das Gefühl, bei einer ziemlich coolen Veranstaltung dabei gewesen zu sein. Aber für 2023 müssen ein bis zwei Schüppen draufgelegt werden. Gehen wir es der Reihe nach durch.
Die Location
Erstmals seit fünf Jahren fanden die Videodays wieder in Köln statt. Das war mehr als nur eine Coronapause für das einst wichtigste Event der Online-Video-Community, das unter seinem eigenen Gewicht kollabiert war. Aber Ausrichter We are Era hatte für den Relaunch eine Menge guter und richtiger Entscheidungen getroffen. Die mit Abstand beste war, die Veranstaltung von der Lanxess-Arena in die Halle Tor 2 zu verlegen. Statt Bühnenshow und kreischender Teenies entwickelte sich ein Convention-Charakter, mit Live-Talks, Masterclasses und Panels. Von 15.000 kreischenden Teenies schrumpfte sich die Veranstaltung auf rund 1.000 Besucher:innen aus der Online-Video-Branche gesund. This is the way, wie wir Mandalorianer sagen. Mit allen damit verbundenen Konsequenzen.
Der Content
Weniger Besucher bedeuten natürlich auch weniger Hype. Zwar war der Ansatz, die Creator:innen als Experten auf die Bühnen zu stellen und ihre Geschichten erzählen zu lassen, goldrichtig. TikTok-Megastar Younes Zarou, den YouTuber:innen Leeroy Matata oder Alicia Joe oder “Pinfluencerin” Ashley Forsson hätte ich ein größeres und vor allem interessiertes Publikum gewünscht. Das allerdings wird auch höhere Erwartungen haben. Inhaltlich kamen die meisten Talks, die ich besucht habe, nicht über das Niveau von “ganz nett” hinaus. Zwei Vorträge möchte ich dennoch positiv hervorheben, die zeigten, wo die Reise hingehen kann.
YouTuberin Alicia Joe gab Einblicke in ihre Videodistributions-Strategie rund um Themenplanung, Titel, Thumbnails. Ihr Vortrag gehörte zu den bestbesuchten am zweiten Veranstaltungstag. YouTube mag der Dino unter den Videoplattformen sein. Aber Insights rund um die einzige Plattform mit verlässlicher Videomonetarisierung sind nach wie vor gefragt. Auch eine, leider weniger gut besuchte Masterclass der Veteranen Heiko und Roman Lochmann rund um das Thema „Wie schreibe ich einen Popsong“ konnte überzeugen. Die Zwillinge erklärten sehr detailliert, wie sie ihre Songs kreieren. Hier hätte so mancher Nachwuchskünstler viel dazu lernen können. Dieser Aspekt, dass die jungen Künstler:innen von den erfahrenen Kräften lernen, hat schon frühere Creator-Veranstaltungen massiv gepusht. Das ist ein Pfund, auf dass auch die Videodays weiter setzen können.
Denn damit ein Fachpublikum überzeugt wird, jedes Jahr dabei sein zu müssen, braucht es mutige Diskussionspanels, die Wirkung in der ganzen Branche haben. Es braucht wirklich tiefgehende Masterclasses, bei denen auch Profis noch was lernen können. Und es braucht professionell moderierte Talks, in denen den Stars die Dinge entlockt werden, die sie in noch keiner Insta-Story erzählt haben. Was die Videodays in diesem Jahr geboten haben, war mir persönlich noch eine Spur zu brav, oft zu oberflächlich und selten kontrovers.
Die Show
Das viel beschworene Gefühl eines “Klassentreffens der Branche” ist für diesen Neustart noch OK gewesen. Auch die anwesenden Creator genossen es sichtlich, sich unbehelligt von Heerscharen ausgelassener Fans bewegen zu können und professionell zu netzwerken. Bei den Videodays 2022 trafen die Stars von heute auf jene, die schon 2014 vor vollem Haus in der Lanxess-Arena ihren Karrierehöhepunkt erlebten; und noch heute mit leuchtenden Augen davon schwärmen. Das darf so bleiben. Wenn Creator auf Creator treffen, entsteht Kollaboration, entsteht Content entsteht Mehrwert. Aber ein bisschen mehr Wumms braucht es dann schon, wenn die Videodays wieder das werden wollen, was sie von 2013 bis 2016 waren, und einen festen Platz im Terminkalender der Szene haben sollen.
Die Idee, die Show mit einer Preisverleihung zu ersetzen, ist definitiv eine gute. Die Reaktionen der Preisträger:innen, die in diesem Jahr den VD-Award erhielten, waren eindeutig: Die Creator freuen sich über diese Form der Anerkennung. Da auch der Webvideopreis (die Älteren werden sich erinnern…) schon lange Geschichte ist, hat definitiv eine Bühne für die besten und kreativsten Online-Videomacher Deutschlands gefehlt. Denn sie sind mehr als nur Anhängsel und Nebenkategorien bei Film-, Fernseh- und Radiopreisen. Die Creator:innen verdienen ihren eigenen Award. Aber der muss dann auch geil sein.
Und damit bin ich wieder am Anfang und der vielleicht wichtigsten Hausaufgabe für das Team von We are Era. In ein paar Jahren werden die Anwesenden Künstler:innen hoffentlich sagen: “Weißt du noch, damals bei den ersten VD-Awards, wo nichts geklappt hat? Krass, was da jetzt draus geworden ist!” Aber Ihr gehört zur RTL: Da wird sich doch wohl irgendwer finden, der in der Lage ist, eine geile Award-Show auf die Beine zu stellen, bei der dann auch alle Preisträger:innen vor Ort sind und die Technik zuverlässig funktioniert, anstatt Stars, Moderatorinnen und Technikern im Minutentakt die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Das darf bei aller Sympathie kein zweites Mal so laufen!
Fazit von den Videodays 2022
Also: Die Videodays sind zurück, und das ist gut so. Die Stimmung war gut, coole Leute sind gekommen, und auch NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst, und alle hatten ihren Spaß. Das ist ein guter Start. Ich hoffe sehr, dass We are Era den langen Atem beweist und die Videodays samt Preisverleihung weiter etablieren wird, auch wenn sich dieses Jahr womöglich noch nicht gerechnet hat. Ein eigener Jahreshöhepunkt für die Online-Videobranche hat gefehlt. Wenn die Videodays 2023 zurückkehren, bin ich jedenfalls gerne wieder am Start.
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