Das “Vreni-Frost-Urteil” hat die gesamte Influencer-Branche in Aufruhr versetzt. Es ist eine Klatsche für die Landesmedienanstalten, deren Leitfaden im Grunde für wertlos erklärt wurde. Gewinner sind Wettbewerbsverbände und Abmahnanwälte, die weiterhin mit dem Bulldozer durch die Influencerbranche walzen. Es ist höchste Zeit, dass die Politik diese an die Kette legt.

Das Netz hat sich seine Meinung schon gebildet: Die Einstweilige Verfügung, die es der Bloggerin Vreni Frost verbietet, Marken auf Instagram zu taggen, ohne dies als Werbung zu kennzeichnen, ist BS. Vreni erfährt eine gewaltige Welle der Sympathie von Bloggerinnen und Influencerinnen, Kollegen und Freunden. Am Telefon berichtet sie mir von einem Support-Paket mit Schokolade, dass ihr jemand einfach so ins Büro geschickt hat mit den Worten: “Wir Bloggerinnen müssen zusammenhalten.“ Dazu kommen hunderte unterstützende Nachrichten von ihren Followerinnen und Followern auf Instagram, deren Beantwortung sie mächtig auf Trab halten. Und dann ist da natürlich die Crowdfunding-Kampagne, die ihr Lebensgefährte für sie eingerichtet hat. Bei fast 4.000 Euro steht der Zähler bereits, auch das macht Vreni Mut, weiter gegen die ihrer Ansicht nach falsche Entscheidung des Berliner Landgerichts zu kämpfen.

142 Abmahnverfahren

Eine Entscheidung, die, so viel sei gesagt, auch ich für falsch halte. Weil sie Wettbewerbsverbänden wie dem “Verband für Sozialer Wettbewerb” ohne Not den Rücken stärkt. Ich habe mir von der Pressestelle der Berliner Gerichte die Zahlen geben lassen. 142 Verfahren gingen im Jahr 2017 auf den notorischen Abmahnverein zurück. In diesem Jahr sind es bereits 82. Und das nur in Berlin. Kein Wunder, dass viele Influencer vom VSW die Schnauze voll haben. (Ergänzung vom 7.1.2019: Der VSW legt in einer E-Mail an mich Wert auf die Feststellung, „dass das Landgericht Berlin allenfalls Auskunft zu der Gesamtzahl aller Verfahren des VSW erteilen kann, worunter natürlich auch eine erhebliche Anzahl von Verfahren aus vollständig anderen Sachgebieten (Lebensmittelrecht, Heilmittelrecht, Arzneimittelrecht etc.) fallen und darüber hinaus auch sämtliche Verfahren, welche der Verband gegen nicht in Deutschland sitzende Firmen führt, mangels inländischem Gerichtsstand, am hiesigen Landgericht anhängig gemacht wurden.“)

Doch bei aller Sympathie für Vreni und ihr Anliegen: Es lohnt sich, das Urteil des Berliner Landgerichts in voller Länge (Az 52 O 101/18) zu lesen. Ich habe genau das getan. Und verstehe nun besser, warum die Richter zu ihrer Entscheidung gekommen sind.

Hier sind die wichtigsten Punkte für euch zusammengefasst:

  1. Der Leitfaden der Medienanstalten ist für die Tonne!
  2. Jeder, der mit Werbung auf Instagram Geld verdient, verfolgt mit seinen Inhalten ein Geschäftsinteresse. Und das muss laut Gericht für die Nutzer transparent gekennzeichnet sein.
  3. Tags sind problematisch, wenn sie auf Accounts von Marken verweisen, mit denen Shops verknüpft sind. Damit werden sie zu “kommerziellen Handlungen”, die gekennzeichnet werden müssen.

Das war die ganz kurze Kurzfassung aus der Urteilsbegründung. Die Details kommen jetzt. Holt euch besser ein Glas Wein und was zu knabbern, das wird jetzt was länger.

Vergesst den Leitfaden der Landesmedienanstalten!

Für mich einer der wichtigsten Punkte aus dem Urteil: Der Leitfaden der Landesmedienanstalten, an dem sich Youtuber, Instagrammer, Blogger, Agenturen und Netzwerke orientieren, wenn es darum geht, werbliche Inhalte zu kennzeichnen, ist de facto wertlos. Zumindest in seiner jetzigen Form. (UPDATE, 8.12.2018: Es gibt inzwischen eine überarbeitete Fassung des Leitfadens.)

Die entscheidende Passage steht auf Seite 24 der Urteilsbegründung. Die entscheidenden Stellen sind von mir hervorgehoben:

“Soweit in dem (…) Merkblatt der Medienanstalten, auf das sich die Antragsgegnerin beruft, die Auffassung vertreten wird, dass Nutzer von sozialen Medien ihre Posts nicht als Werbung kennzeichnen müssen, wenn sie das präsentierte Produkt von einem Unternehmen kostenlos und ohne Vorgaben erhalten haben, gilt dies nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht für Personen mit einer so großen Anzahl von Followern, wie die Antragsgegnerin sie hat, die noch dazu Verlinkungen in der hier erfolgten Art direkt auf eine Seite des Unternehmens vornehmen, wo der gesamte Shop oder zumindest eine große Anzahl von Waren der Unternehmen präsentiert werden.”

Vreni hat auf Instagram Stand heute 53.700 Followerinnen und Follower. Das ist stattlich, aber seien wir ehrlich: Es gibt eine ganze Menge Influencerinnen in Deutschland, die deutlich mehr Reichweite haben. Dennoch nennt das Gericht die Zahl der Follower als entscheidenden Faktor dafür, dass sie unter keinen Umständen auf Werbekennzeichnung verzichten darf. Im Klartext bedeutet das: Mindestens ab 50.000 Followern ist eine Werbekennzeichnung unumgänglich, wenn in einem Posting Produkte oder Marken verlinkt werden, unabhängig davon, ob Geld geflossen ist oder nicht. Dies gilt insbesondere, wenn man über den verlinkten Markenaccount direkt auf Online-Shops oder andere Einkaufsmöglichkeiten im Netz weitergeleitet wird.

Diese Rechtsauffassung geht in eine ganz andere Richtung als der Leitfaden der Medienanstalten. Die sind freilich nur dafür zuständig, die Einhaltung des Telemediengesetzes und des Rundfunkstaatsvertrags zu kontrollieren. Im Fall von Vreni – und den vielen anderen Fällen, die der VSW angestrengt hat – geht es aber hauptsächlich um einen Verstoß gegen das Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb (UWG). Das Telemediengesetz ist nur ein Nebenkriegsschauplatz. Für die Medienanstalten ist das Urteil dennoch ein herber Schlag. Ihre Kompetenz in Sachen Werbekennzeichnung ist vom Berliner Landgericht vom Tisch gefegt worden. Sie können natürlich bei ihrer toleranten und im Kern begrüßenswerten Haltung bleiben. Nur hilft die im Kampf gegen Abmahnanwälte und Wettbewerbsverbände derzeit nicht weiter. Ob der Leitfaden überarbeitet wird, steht derzeit noch nicht fest, sagte mir ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten. Erstmal wolle man abwarten, ob das Verfahren in die nächste Instanz geht.

Darum nochmal ganz deutlich: Wer sich vor Abmahnungen schützen will, kann sich derzeit nicht auf den Leitfaden der Landesmedienanstalten berufen.  

Wieso hat das Gericht Vreni denn jetzt verurteilt?

Aus zwei Gründen.

Erstens: Weil sie mit ihren zahlreichen Online-Aktivitäten selbst Geld verdient. Vreni ist selbständige Unternehmerin, die davon lebt, sich selbst und ihre Inhalte im Netz zu vermarkten. Ein Fakt, den Vreni im Übrigen nicht bestreitet. Im Gegenteil, sie geht sehr offen damit um und hat kein Problem damit, mir zu sagen, wie viele Kooperationen sie in diesem Jahr bereits abgeschlossen hat. Es sind etwa fünf pro Monat, im Mai waren es mehr (sieben), im Januar weniger (vier). Das Gericht stellt dazu fest:

“Mitnichten handelt es sich bei der Antragsgegnerin um eine Privatperson, die ihre persönlichen Vorlieben im Internet veröffentlicht.”

Die vom VSW beanstandeten Postings, es waren insgesamt drei, seien darum keine redaktionellen Inhalte. Die gezeigten Produkte würden, so das Gericht, “zu kommerziellen Zwecken präsentiert und deren Herkunft benannt.” Das müsse den Nutzern transparent gemacht werden.

Für die Richter spielt es auch keine Rolle, dass Vreni die Produkte in den beanstandeten Postings, selbst gekauft hat. Vor Gericht konnte sie das mit entsprechenden Kaufbelegen sogar nachweisen (Kurzer Tipp für alle Influencer: Hebt jede Quittung auf! Jede! Einzelne! Quittung! Auch den 4,90-Kassenbon von Starbucks.). Genutzt hat es nichts, denn

“Die Antragsgegnerin ermöglicht es diesen Unternehmen, einem interessierten Publikum ihre Produkte zu präsentieren und – was zum Teil in den Instagram-Accounts der Unternehmen oder mit diesen verlinkten Internetauftritte auch geschieht-  ihre Waren zum Kauf anzubieten.”

Instagramshops machen es Abmahnanwälten leicht

Und hier liegt der zweite Grund für die Gerichtsentscheidung: Ob Vreni nun eine Kaufabsicht fördern wollte oder nicht, spielt für das Gericht gar keine Rolle. Allein die Tatsache, dass über die getaggten Unternehmensaccounts die Möglichkeit besteht, online Waren zu kaufen, reicht aus, um unter die Kennzeichnungspflicht zu fallen. Ironischerweise hat Instagram ausgerechnet das mit seiner Shopfunktion erheblich vereinfacht. Und damit den Abmahnanwälten die Argumentation viel einfacher gemacht.

Entscheidend ist auch die Kombination mit der “Art der Präsentation” der Produkte. Wer Produkte kritisiert oder abwertet, also kein Kaufinteresse weckt, muss wahrscheinlich nicht kennzeichnen, auch wenn er taggt. (Disclaimer: Diese Aussage ist meine Interpretation und ohne Gewähr.). Was das Gericht definitiv als Möglichkeit offen lässt: Wer aufs Taggen verzichtet, muss wahrscheinlich nicht kennzeichnen (Wieder: Ohne Gewähr!). In ihrem Blogpost schreibt Vreni, dass sie das Taggen als “redaktionelle Handlung” sieht. Ihre Followerinnen wollen wissen, welche Klamotten sie trägt und wo sie diese gekauft hat. Dieses Informationsbedürfnis bedient sie, in dem sie die Unternehmen taggt. Das Landgericht argumentiert, durchaus nachvollziehbar, dass das ja nicht nötig sei, ohne explizit eine Alternative zu benennen.

Aber tatsächlich könnte man auf die Tags verzichten. Die Namen der Marken könnten zum Beispiel im Text unter dem Post ohne Link genannt werden. Oder sie könnte jede Nachricht persönlich beantworten. Für Vreni sind das keine Optionen. Sie hat bewusst darauf verzichtet, alle Tags in ihren Postings zu entfernen, sondern alle als Werbung gekennzeichnet. Sie sagt: “Das Taggen ist für mich eine elementare Funktion des Internets, auf die ich nicht verzichten will.”

Das Internet nicht verstanden?

Und damit sind wir an dem Punkt, den bereits andere Blogs dem Landgericht vorgeworfen haben: Die Richter hätten “das Internet nicht verstanden”. Es ist ein gern gemachter Vorwurf der Netzgemeinde, wenn Gerichte, Behörden, Unternehmen, Politiker Verhalten maßregeln wollen, das für eingeweihte Nutzer im Internet üblich ist. Es ist ein gefährliches Argument, weil es immer eine Art Sonderstellung für Vorgänge im Netz einfordert und so tut, als gelten im Internet andere Regeln. Aber eine Beleidigung im Internet ist genauso verletzend wie eine Beleidigung im Real Life und wir wünschen uns, dass sie entsprechend geahndet wird. Und genauso verhält es sich mit Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht. Oder doch nicht?

Tatsächlich fängt die Argumentation der Richter genau an diesem Punkt an zu wackeln. Denn sie haben das Internet nicht verstanden. Das wird deutlich, wenn sie zum Beispiel verquer von “der Eingangsseite des Instagramblogs der Antragsgegnerin” sprechen. Aber lassen wir mal die Tatsache, dass man auf Instagram eher nicht von Blogs spricht, die Plattform zwar Posts, Stories und Accounts aber keine “Seiten” kennt und der “Eingang” über einen von einem Algorithmus sortierten Feed mit Inhalten von ganz unterschiedlichen Personen erfolgt. Konkret sind es zwei Dinge in der Begründung, die für mich nicht schlüssig sind.

Privat ist nicht gleich privat

Erstens: Das Gericht sagt, dass bei Vreni eine private Motivation für ihre Postings, selbst wenn sie vorhanden wäre, nicht “trennscharf” zu erkennen ist. Eine geschäftliche Motivation habe sie aber in jedem Fall. Und die müsse sie durch Kennzeichnung deutlich machen. Doch genau damit wird die eingeforderte Trennschärfe im Grunde unmöglich gemacht.

Das Gericht legt eine Definition von Privatheit zu Grunde, die aus der Zeit vor Sozialen Netzwerken stammt. In Vrenis Welt, und der vieler anderer Influencerinnen und Influencer auch, kann etwas privat sein. Und trotzdem für die Öffentlichkeit bestimmt. Zum Beispiel das selbstgekochte Abendessen. Andere Dinge, sagen wir, der morgendliche Stuhlgang, sind privat und bleiben das auch. Was Vreni öffentlich teilt, bestimmt sie selbst.

Und natürlich hat sie ein Geschäftsinteresse mit allem, was sie veröffentlicht. Sie ist ihre eigene Medienmarke und alle ihre Inhalte haben das Ziel, diese Marke zu stärken und für Unternehmen interessant zu machen. Genau, wie das bei anderen Medien der Fall ist. Egal, ob wir von Modezeitschriften oder Nachrichtenmagazinen reden: Auch sie erstellen redaktionelle Inhalte, um für Werbekunden attraktiv zu sein. Und trennen diese Inhalte entsprechend voneinander. Doch der Logik des Gerichts folgend müssten nun alle Inhalte gekennzeichnet sein, die in irgendeiner Weise geschäftlich motiviert sind.

Entweder, man gibt Vreni die Freiheit, genauso redaktionell tätig zu sein wie andere Medien auch. Oder man muss andere Medien nach den gleichen Maßstäben wie Vreni beurteilten. Übertragungen und Berichte von der Fußballweltmeisterschaft sind voll von Produkt- und Markenbotschaften. Bitte entsprechend kennzeichnen! Mode- und Lifestylemagazine bestehen nahezu ausschließlich aus Produktpräsentationen. #Werbung!

Die vom Gericht geforderte Trennschärfe einzuhalten wird ausgerechnet durch das Urteil erschwert. Denn für die Nutzer ist es nun viel schwieriger, die für sie entscheidende Information zu bekommen: Hat der Influencer, die Influencerin für ein Posting eine Gegenleistung erhalten oder nicht?

Der Nutzer, das unbekannte Wesen

Womit wir beim Nutzer sind. Das ist der zweite Punkt, den das Gericht meiner Meinung nach falsch einschätzt. Die Richter schreiben

“Zumindest Teile der angesprochenen Verkehrskreise, zu denen nicht nur internetaffine, im Bereich Social Media erfahrene Nutzer gehören, sondern die breite Öffentlichkeit und insbesondere auch Kinder und Jugendliche, die weniger aufmerksam und lesegeübt sind und sich erstmals mit solchen Posts befassen, werden den kommerziellen Zweck nicht sofort erkennen, sondern davon ausgehen, dass sie Beiträge der Antragsgegnerin zu ihrem derzeitigen Aufenthaltsort, ihrem aktuellen Aussehen sowie zu ihren Erlebnissen und Befindlichkeiten enthalten.”

Das ist ein langes Zitat, aber es lohnt sich, das der Reihe nach auseinander zu pflücken. Also: Vreni spricht nicht nur internetaffine, Social Media erfahrene Nutzer an, sondern auch “die breite Öffentlichkeit und insbesondere auch Kinder und Jugendliche”. OK, Kinder und Jugendliche sind auf Instagram. Sogar in großer Zahl (die Plattform hat eine USK-Empfehlung ab 12) und sie sollten natürlich vor Beeinflussung geschützt werden. Ob Kinder und Jugendliche jetzt ausgerechnet Vreni Frost folgen, weiß ich nicht. Aber ich bin dabei, lassen wir so stehen.

Nächster Punkt: Ist wirklich “die breite Öffentlichkeit” auf Insta? Da wird es schon schwieriger. In den letzten offiziellen Zahlen von Facebook aus dem August 2017 ist die Rede von 15 Millionen Instagram-Nutzern pro Monat in Deutschland. Selbst wenn man Karteileichen, Markenaccounts, Bots und Fake-Accounts rausrechnet, sind das sind ziemlich viele, immerhin rund 20 Prozent der Bevölkerung. Aber ist es die breite Öffentlichkeit? Gar ein repräsentativer Ausschnitt der Bevölkerung? Halte ich zumindest für diskutabel angesichts der Tatsache dass die meisten Nutzer tendenziell eher jung sind. Außerdem: Vrenis Account hat, wie gesagt, kaum mehr als 50.000 Follower. Just saying.

Aber gut, gehen wir die Argumentation mit. Schließlich gibt es eine Menge Influencer, die haben sogar Millionen Follower, kommen also der Vorstellung von “breiter Öffentlichkeit” schon näher. Nun schreibt das Gericht, man könne nicht davon ausgehen, dass es sich bei diesen Leuten immer um “Social Media erfahrene Nutzer” handele. Und jetzt wird es endgültig schwammig: Was ist denn jetzt “erfahren?” Kann ich nicht jemandem, der Instagram nutzt, automatisch ein gewisses Maß an Social Media-Erfahrung unterstellen? Was soll’s, nehmen wir zu Gunsten der Richter an, es gäbe im Social Network Instagram eine Menge Nutzer, die keine Erfahrung mit Social Media haben und einen Hashtag nicht von einem @ unterscheiden können.

Doch wenn wir schon auf drei wackeligen Füßen stehen, können wir auch noch einen vierten mit dazu nehmen: Die Nutzer könnten “den kommerziellen Zweck” von Vrenis Postings nicht erkennen, unterstellt das Gericht. Sondern würden  annehmen, dass ihre Inhalte rein privater Natur sind. Das halte ich für eine äußerst gewagte These, die zu beweisen wäre. Sie kommt von Menschen, die mutmaßlich wenig Erfahrung im Umgang mit Social Media haben.

Das Internet verstehen

Ich stelle die Gegenthese auf: Den meisten Nutzern auf Instagram ist völlig klar, dass andere Nutzer mit großer Reichweite mit ihren Bildern auf Instagram Geld verdienen, davon leben oder sogar Unternehmen damit betreiben. Insbesondere gilt dies für Kinder und Jugendliche, die höchstwahrscheinlich jedem Richter am Landgericht Berlin eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Instagram geben könnten. Vreni hat mir gesagt, dass sie hunderte Messages von ihren Followern bekommen hätte. Der Tenor: Sie verstehen genau, wie Vreni ihr Geld verdient.

Ich würde diese Argumentation unterstützen: Ich arbeite regelmäßig mit Jugendlichen zusammen. Ich gehe an Schulen und spreche dort über Social Media. Mein Eindruck: Die Kids haben eine sehr gute Vorstellung davon, wie Social Networks funktionieren und wie dort Geld verdient wird. Social Media ist Teil der Lebensrealität geworden, ob uns das gefällt oder nicht. Und zu dieser Realität gehören Marken und Produkte dazu.

Die Aussage der Richter, niemand könne Vrenis kommerzielle Absichten erkennen, halte ich jedenfalls weder für haltbar noch für übertragbar auf andere Medien. Wissen die Leser der Glamour, wie der Verlag Geld verdient? Wie kommt bei RTL die Kohle rein? Dass die Leute das wissen, ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie bei Vreni. Doch damit sie es erkennen können, gibt es eben die Trennung von Werbung und Redaktion. Diese Möglichkeit ist Vreni und allen anderen Influencern mit diesem Urteil faktisch genommen worden.

Was muss nun passieren?

Momentan haben wir in allen drei Gewalten ein Problem. Die Rechtsprechung tut sich schwer damit, die Plattformen zu verstehen. Und sie ist an Gesetze gebunden, die den vielschichtigen Funktionen der Plattformen nicht gerecht werden. Gleiches gilt für die Kontrollorgane wie die Landesmedienanstalten. Die sind zwar beim Verständnis der Plattformen weiter und durchaus an konstruktiven Lösungen interessiert. Nur bringen die nichts, wenn die Rechtsprechung diese ständig einkassiert. Womit wir bei der Gesetzgebung sind. Die Politik muss einerseits die Mediengesetze ändern. Leider ist das in Deutschland Ländersache. Während also alle über Vorgänge auf globalen Plattformen diskutieren, müssen sich in Deutschland 16 Bundesländer einigen, ob ein Retweet jetzt kennzeichnungspflichtig ist oder nicht. Üff!

Noch wichtiger wäre aber, dass endlich dem Treiben der Abmahnanwälte Einhalt geboten wird, so wie es in Sachen DSGVO von der Großen Koalition angekündigt worden ist. Wer also wirklich etwas tun will, sollte auf Politiker wie Justizministerin Katarina Barley einwirken, damit sie Verbände wie den VSW endlich an die Kette legen. Die Abmahnvereine sind nicht erst seit der DSGVO ein Problem und sie fügen vielen Menschen Schaden zu, die sich nicht wirkungsvoll gegen die erfahrenen Abmahner zur Wehr setzen können.

Was ist denn jetzt Werbung?

Es muss dringend geklärt werden, was wir denn jetzt unter Werbung verstehen wollen. Diesmal war es der Link zu einer Marke, der zur werblichen Aktion wurde. Beim nächsten Mal ist es ein Hashtag zu einer Kampagne. Dann das deutlich erkennbare Logo auf einem Pullover. Ich bin mir sicher: Solange nicht grundsätzlich an der Abmahnpraxis geändert wird, werden die Verbände immer was finden, dass sie beanstanden können. Die Zeiten, in denen Werbung ein “Nichts ist unmöglich” brüllender Affe zwischen zwei Mainzelmännchenclips war, sind vorbei. Das Netz hat dutzende neue Werbeformate hervorgebracht, die im Übrigen auch von Verlagen und TV-Sendern gerne genutzt werden. Affiliated Links, Sponsored Posts, Native Advertising, Advertorials: Die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Natürlich ist das komplizierter. Aber das Problem wird nicht durch eine pauschale Überkennzeichnung gelöst. 

Den Nutzer interessiert am Ende nur eins: Ist Geld geflossen, beziehungsweise gab es eine geldwerte Gegenleistung? Das muss transparent gekennzeichnet werden. Davon ab sollte jeder, gleich ob Influencer, Blogger oder Privatperson die Möglichkeit haben, seine Inhalte, Meinungen und Gedanken so frei wie möglich teilen dürfen. Natürlich muss man als Unternehmer immer damit rechnen, dass man mal verklagt wird oder eine Abmahnung rein kommt. Das ist Teil des Risikos. Aber in der jetzigen Situation sind Influencer, Blogger oder Youtuber quasi zum Abschuss freigegeben. Und müssen bei jedem Posting Angst vor ruinösen Abmahnungen haben. Und das muss meiner Meinung nach aufhören. 

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