Was Bloggen bedeutet, hat sich massiv verändert. Es mag paradox klingen, aber auch wenn Blogs fast schon Relikte aus der Frühzeit des Internets sind, wurde vielleicht noch nie so viel gebloggt wie heute. Nur, dass die Blogplattformen von heute auch Twitter, Instagram oder TikTok heißen.

Das erste Blog der Welt ist laut dem Online-Lexikon Wikipedia die Webseite von Tim Berners-Lee, die er am CERN Institut in Genf entwickelt hat. Wobei, Tim Berners-Lee als ersten Blogger zu bezeichnen, ist ungefähr so, als würde man sagen, Adam und Eva seien die Erfinder des FKK-Badens. Denn das Blog, das Berners-Lee am 13. November 1990, live stellt, war auch zugleich die erste Webseite der Welt. Mit ihr stellte der Professor vom renommierten Massachusetts Institute for Technology (MIT) die von ihm mit entwickelten Technologien HTML, HTTP und URL vor und teilte sie mit anderen Forschern. Diese Erfindungen sind noch heute die Grundbausteine des Internets.

Instagram ist jetzt ein Blog

Es ist darum nur konsequent, dass Franziska Bluhm sagt: “Bloggen ist eine Technik.” Bluhm ist Mitgründerin des Preises “Die Goldenen Blogger”. In ihrem Wohnzimmer starteten die Goldenen Blogger im Jahr 2007 als spaßige, internet-ironische Award-Parodie. Inzwischen ist daraus ein kleiner, feiner Medienpreis geworden, für den jedes Jahr rund 3.000 Vorschläge eingereicht werden. Die Kategorien und die PreisträgerInnen spiegeln dabei wider, wie sich die das Bloggen jedes Jahr wandelt, sagt Bluhm: “Wir waren nie so starr, dass wir gesagt haben: Ein Blog, das sind Texte auf einer Webseite. Wir haben immer versucht, Trends aufzunehmen, zum Beispiel Newsletter, oder bestimmte Themen wie Medizin.” Inzwischen gibt es auch einen Goldenen Blogger für den besten Instagram-Account oder das größte TikTok-Talent.

Instagram ist jetzt also ein Blog? Web-Puristen mögen bei dieser These verächtlich schnauben. “Ja, klar!”, sagt Vreni Frost, Berliner Medienmacherin und Bloggerin. Nur, dass ihr 2010 gestartetes Lifestyle-Blog “Neverever.me” seit Anfang 2020 inaktiv ist. Ihr Hauptkanal ist inzwischen Instagram. Dort folgen ihr rund 50.000 Menschen. Vreni Frost kann dort alles teilen, was sie früher auf ihrem Blog veröffentlicht hat. Aber: “Ich bekomme schneller und echter Reaktionen und kann so viel leichter mit meinen Followern in Dialog treten”.

Die Kraft dieses unmittelbaren Austauschs spürte Vreni Frost, als sie im Juni 2020 via Instagram ihre Meinung zu Plagiatsvorwürfen gegen eine bekannte Werbeagentur äußerte. Über Nacht erhielt sie mehrere hundert persönliche Nachrichten. Nur, dass es da gar nicht um Plagiatsvorwürfe ging. Die eigentlichen Probleme bei dieser und anderen Agenturen seien Sexismus und Frauenfeindlichkeit, schrieben ihr ihre FollowerInnen. Frost machte Teile der Vorwürfe öffentlich, woraufhin sich eine Redakteurin der “ZEIT” bei ihr meldete. Es entstand eine Recherche, deren Ergebnisse die Wochenzeitschrift auf einer ganzen Seite veröffentlichte.

Social Networks lösen Blogs ab

Diese Episode verdeutlicht, was Sascha Lobo nüchtern auf den Punkt bringt: “Klassische Blogs haben durch den Erfolg von Social-Media-Plattformen einen Niedergang erlebt”. Instagram sticht die eigene Webseite. Der große Vorteil der Social Networks: Sie haben die Reichweite und das Publikum eingebaut. Und damit ist es leichter, Wirkung zu erzielen als mit der eigenen, mühsam gepflegten und nur halbgut SEO-optimierten Webseite.

Diese Erfahrung hat auch Sascha Lobo gemacht. Seit 2011 schreibt Lobo, Urgestein der deutschen Digitalszene, für das Nachrichtenmagazin Spiegel.de wöchentlich über Digitalisierung, Netzpolitik und das allgemeine politische Geschehen in Deutschland. Nicht mehr als Blogger wie früher, sondern als Kolumnist, und das ganz ohne Wehmut: “Ich fühle mich als Kolumnist sehr wohl, weil man diese öffentliche Relevanz über ein Medium wie “Spiegel” viel leichter hinkriegt als über ein eigenes Blog.”

Lobos Werdegang ist beispielhaft dafür, wie die Grenzen zwischen den Medien verschwommen sind. Auch der Schreibstil der klassischen Nachrichtenseiten und der Online-Autoren hat sich angenähert. Eine Entwicklung, die Sascha Lobo mit seiner Kolumne durchaus mitgeprägt hat. Nicht nur, weil er ein Tabu bei Nachrichtenwebseiten brach und von Anfang konsequent andere Seiten verlinkt hat. “Meine Tätigkeit ist stark von meinen Blogerfahrungen geprägt. Ich schreibe zum Beispiel bewusst Sätze, die man in sozialen Medien gut zitieren kann.” Das sind die Überbleibsel der, wie Sascha Lobo sagt, „Ursuppe des Bloggens“: Verlinkung und Zitat sind die die wichtigste Währung im Netz.

Blogs leben noch

Aussterben werden klassische Blogs dennoch nicht. Nach wie vor entstehen zum Beispiel viele “Tagebuchblogs”, sagt Franziska Bluhm, also BloggerInnen, die ganz klassisch ihren Alltag dokumentieren, teilweise auch nur für den eigenen Bekanntenkreis, ohne Anspruch auf große Reichweite. Einige davon finden im Laufe der Zeit ihr Thema und entwickeln sich weiter, zum Beispiel zu einem Food- oder Elternblog. “Diese Szenen sind sehr aktiv. Da entdecken wir jedes Jahr neue Projekte”, sagt Bluhm.

Nach wie vor sind Blogs auch für viele Kreativschaffende und publizistisch Tätige die Visitenkarte im Netz. Sie haben ein klares Thema im Fokus und nutzen das eigene Blog im Zusammenspiel mit weiteren Social Networks als Tool zur persönlichen Positionierung. Gegenüber Facebook, Instagram, Youtube und Co. haben Blogs einen entscheidenden Vorteil. Hier bestimmen die Schreibenden die Regeln selbst. Darum sagt auch Sascha Lobo: “Das Blog bleibt für mich als selbstkontrolliertes Medium essentiell.“ Nur hier erstellt man seine Inhalte (fast) unabhängig von den Algorithmen und Nutzungsbedingungen der großen Plattformen. Es ist also nach wie vor Leben drin im Bloggen, einer Technik, die allen Versuchen, sie totzusagen beharrlich widersteht.

Blog-Empfehlungen

Zum Schluss noch ein paar Blogs, die ich in unregelmäßigen Abständen gerne lese oder uneingeschränkt empfehlen kann.

Der Graslutscher bloggt über veganes und nachhaltiges Leben.

Augen geradeaus, das beste Blog zu Verteidigungspolitik und Bundeswehr.

Anonyme Köche macht Lust auf Genuss und gute Küche.

Mit Indiskretion Ehrensache bin ich nicht immer einer Meinung, aber seine Thesen zur Medienwelt in Deutschland haben immer Hand und Fuß.

Das GoogleWatchBlog dokumentiert seit Jahren mit unglaublicher Akribie und viel Fleiß, was sich bei dem größten Tech-Unternehmen der Welt so tut.

DasNuf hat schon viele Diskussionen am heimischen Abendbrottisch angestoßen.

Dieser Text erschien im November 2020 in leicht abgewandelter Form zuerst in der Werkstatt “Kolumne & Blog” des Medium Magazins.

Die vollständige Werkstatt könnt ihr auf der Seite vom Medium Magazin beziehen. Ich verdiene daran nichts.


Weitere Texte von mir zu Social Media und Journalismus.