Die zweite Staffel von Star Trek: Discovery startet mit einem bombastischen Abenteuer auf Kinoformat. Der neue Captain Christopher Pike muss sich allerdings erstmal das Vertrauen der Crew und von Michael Burnham erarbeiten.
Es gibt eine Menge männliche Verhaltensweisen, die in der Post Me-Too-Ära (zu Recht) in Frage gestellt werden. Eine davon ist das so genannte “Mansplaining”: Es ist ein männliches Dominanzritual, bei dem Männer sich ihrer eigenen Überlegenheit versichern, indem sie Frauen die Welt erklären. Tatsächlich vorhandenes Wissen über die jeweilige Thematik spielt für den Mansplainer dabei keine Rolle. Weder hindert ihn die eigene Inkompetenz an seinem Redeschwall, noch ist er in der Lage, das vorhandene Fachwissen seines weiblichen Gegenübers zu erkennen, geschweige denn anzuerkennen. (Und ja: Ich bin mir der Ironie bewusst, in einem Text, in dem ich versuche, euch Star Trek zu erklären, auch noch über Mansplaining zu schreiben. Kein Grund also, mich darauf hinzuweisen.)
Ohne falsche Scham würde zum Beispiel ein Mann, der noch nie in seinem Leben ein Flugzeugcockpit von innen gesehen hat, glauben, einer Pilotin etwas über die Flugeigenschaften eines Airbus A-320 erzählen zu können. Es ist eine Unart, die selbst im 23. Jahrhundert noch nicht vollständig ausgestorben sein wird, wie wir in der ersten Folge der zweiten Staffel von Star Trek: Discovery erfahren. Der Unterschied ist: Im Gegensatz zu unserer Zeit kommen Möchtegern-Alphatiere mit diesem atavistischen Verhalten nicht mehr auf den Stuhl des Captains. Sondern landen geradewegs auf Kollisionskurs mit einem tödlichen Asteroiden. Wie Mann es richtig macht, demonstriert der neue Captain der Discovery: Mit Christopher Pike zieht ein neuer, zeitgemäßer Führungsstil auf der Brücke ein.
Star Trek forscht wieder
Pike kommt direkt vom berühmtesten Sternenflottenschiff überhaupt an Bord. Mit letzter Warpkraft hat sich die U.S.S. Enterprise nach einem kosmischen Zwischenfall zurück in Föderationsgebiet gerettet. Fünf Jahre war sie in den Tiefen des Weltraums auf einer Langzeitmission unterwegs gewesen, Lichtjahre entfernt von der Heimat und außerstande, der Föderation im Krieg gegen die Klingonen beizustehen. Doch ihr letzter Einsatz am Rande des Universums hätte das Flaggschiff um ein Haar zerstört. Eine mysteriöse Energiequelle “von bislang unbekannter Stärke” ist im Alpha-Quadranten aufgetaucht. Aber die Sternenflotte wäre nicht die Sternenflotte, wenn ihr nicht genau das den Sabber im Mund zusammenlaufen lassen würde: Nach Monaten des Kampfes endlich wieder Raumanomalien erforschen, yeah! Und da die Enterprise erstmal im Trockendock liegt, ist es an der Discovery, dem Geheimnis der mysteriösen Energiequelle auf den Grund zu gehen. Und Captain Christopher Pike übernimmt bis auf Weiteres das Ruder auf der Brücke der “Disco”.
Doch bevor sich Pike in dieses Abenteuer stürzen kann, gilt es, das Vertrauen der Disco-Crew in ihren Captain zurückzugewinnen. Wir erinnern uns: In der ersten Staffel war die Mannschaft einem diabolischen Doppelgänger aus einem Paralleluniversum aufgesessen, der nichts weniger im Sinn hatte, als die Herrschaft im Universum an sich zu reißen. Seine Machenschaften kosteten geliebten Crew-Mitgliedern das Leben, und diese Verluste sind noch präsent: “Alles hier erinnert mich an Hugh!”, klagt ein verzweifelter Chefingenieur Paul Stamets an einer Stelle Silvia Tilly sein Leid und erklärt ihr im gleichen Atemzug, dass er die Discovery verlassen werde. Zu schwer wiegt der Verlust seines Lebensgefährten.
Auflösungserscheinungen also, statt Zusammenhalt: Kein Wunder, dass Saru erstmal auf einem DNA-Test besteht, bevor er Pike endgültig das Kommando über die Mannschaft übergibt. Doch die Sorgen der Crew scheinen unbegründet: Schon mit seiner ersten Ansprache an die Crew verbreitet Pike ein wohliges “I got this”-Gefühl. Es ist einerseits eine Rückkehr zu einem Grundpfeiler der Star Trek-Philosophie: Der Kapitän eines Föderationsschiffes hat moralisches Vorbild gleichsam für die Crew wie auch für uns Zuschauer zu sein. Doch man würde der Figur des Christopher Pike Unrecht tun, wenn man ihn lediglich für einen Retro-Charakter hielte, der eine weitere Verbindung zur Classicserie aus den 60er-Jahren schaffen soll.
Von Kirk zu Pike: Die Captains der Trek-Serien
Führung ist in allen Star Trek-Serien ein großes Thema gewesen. Bewusst unterscheiden sich alle Captains der bislang ausgestrahlten Serien deutlich voneinander. Und verkörpern dabei auch immer den Zeitgeist. Kirk war genauso aufrichtig wie rebellisch, bereit, jederzeit die Regeln der Obrigkeit zu brechen, wenn es um eine höhere Sache ging. Und passte damit perfekt zur Protest-Generation der 1960er-Jahre, die bestrebt war, den Mief der konservativen 50er abzuwerfen. Mit Picard hingegen stand nicht zufällig ein Mann des Ausgleichs mit der gravitätischen Aura des Shakespeare-Darstellers an der Spitze der Enterprise. Es war die Zeit, in der der Kalte Krieg endete und die ganze Menschheit auf dauerhaften Frieden hoffte. Statt Rebellen waren nun Diplomaten gefragt. Später in den 90ern übernahm Ben Sisko auf der DS9, ein jung gebliebener Chef, der seinen Mitarbeitern sicher sofort das “Du” angeboten hätte, gäbe es nicht ein militärisches Protokoll. Ihm folgte die erste Frau, Catherine Janeway, die in mütterlicher Funktion ihre Schutzbefohlenen aus großer Not nach Hause führte. Als dann mit mit Jonathan Archer wieder ein weißer Mann vom alten Schlage die erste “Enterprise” kommandierte, war zu Anfang des Milleniums auch bei Star Trek die Sehnsucht nach einer guten alten Zeit zu spüren, die aus gutem Grund längst vergangen ist.
Denn wohin uns die Generation alter weißer Männer tatsächlich führt, ließ sich in der ersten Staffel von Discovery exemplarisch beobachten. Captain Lorca wollte sein Imperium aus dem Spiegeluniversum “great again” machen. Und ging dafür über Leichen. Am Ende wurde der Despot unter den Raumschiff-Kapitänen vaporisiert. Es waren die Frauen, die dann das Schicksal der Menschheit in die Hand nahmen und Frieden zwischen Klingonen und Föderation stifteten. Die Botschaft, die Star Trek in diesen Zeiten sendet, ist deutlich: Wer es als Mann zu etwas bringen will, tut gut daran, die Fähigkeiten des weiblichen Geschlechts anzuerkennen und zu respektieren. Wer hingegen glaubt, er müsse weiter an männlichem Dominanzgehabe klammern, den möge ein ähnlich schnelles Schicksal ereilen wie den manipulativen Lorca aus Staffel Eins, oder den nassforschen Wissenschaftsoffizier in dieser Folge, der es nicht verkraften kann, dass Michael Burnham ihm in jeder Hinsicht stets zwei Schritte voraus ist.
Zum Role-Model in Sachen männlicher Führung wird Christopher Pike, der zwar klare Ansagen macht und im Jargon eines modernen Silicon Valley-CEOs fordert, dass Kritik in Ordnung ist, solange sie mit Lösungen einher geht. Genauso ist er aber in der Lage zu erkennen, wann er buchstäblich die Kontrolle abgeben muss. Als er in einem kaputten Shuttle ungebremst auf einen Asteroiden zurast, spielt er nicht den Cowboy, sondern gibt sein Leben in die Hände von Michael Burnham, die die halsbrecherische Rettung in letzter Sekunde orchestriert. Nur wenig später wird er in einem eleganten Twist des Drehbuchs die Gelegenheit bekommen sich zu revanchieren. Auch in dieser Hinsicht entspricht Pike dem Idealbild des Sternenflottencaptains: Niemand wird zurückgelassen.
Was geht mit Spock?
Nichts schweißt so zusammen wie ein gemeinsames Abenteuer auf Leben und Tod: Burnham und ihr neuer Vorgesetzter bauen also recht schnell eine vertrauensvolle und solidarische Beziehung auf. Zwischen Michael und ihrem Bruder hingegen scheint diese völlig zu fehlen. In Staffel Eins waren die Drehbuchautoren bekanntermaßen auf die hanebüchene Idee verfallen, Spock eine bis dato völlig unbekannte Adoptivschwester auf den Leib zu schreiben. Die komplette Biographie eines der ikonischsten Sci-Fi-Charaktere aller Zeiten wurde damit auf den Kopf gestellt. Die Situation wurde dadurch verschlimmbessert, dass man dann beschloss, Spock in der Erzählung nahezu völlig auszublenden. Zur Sprache kam er nur in einer Folge, ansonsten schien er keine Rolle im Leben von Michael Burnham zu spielen. Nun packen die Macher dieses Problem endlich bei den Hörnern: Das Trauma in der Familie Spock reicht offenbar tiefer als bisher angenommen und wird sowohl Michael als auch uns Zuschauer noch für ein paar Folgen beschäftigen.
Die Auftaktfolge zur zweiten Staffel setzt ohne Zweifel Maßstäbe und legt eine hohe Messlatte für alles, was da noch kommen wird. Neue Charaktere, die frischen Wind in die Serie bringen, alte Charaktere, die sich neuen Herausforderungen stellen, großes Drama gemischt mit trockenem Humor und Selbstironie, bombastische Sets und kinoformatige Spezialeffekte, viel mehr kann man in 60 Minuten Star Trek nicht reinpacken. Um es mit den Worten von Christopher Pike zu sagen: “Hit it!”
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