Die zweite Episode der zweiten Staffel Star Trek: Discovery führt die Crew der Discovery dahin, wo Star Trek hingehört: In die unendlichen Weiten des Universums. Nur der Zusatz “Wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist” muss nach dieser Folge wohl gestrichen werden.
Die Stimmung für die Folge wird gleich in der ersten Einstellung dieser Folge gesetzt: Wir erblicken die Discovery, wie sich ihren Weg durch eine gigantische, von elektrischen Entladungen durchzogene Gaswolke bahnt, gleich einem Wanderer in finsterer Nacht, der einem nahenden Gewitter zu entkommen sucht. Die Unheil verkündende Atmosphäre wird verstärkt durch die Off-Stimme Spocks, in dessen letztem Logbucheintrag von der Enterprise Burnham und Pike nach Anhaltspunkten für den Ursprung der rätselhaften Signale suchen, die an verschiedenen Punkten im All aufgetaucht sind. Doch was immer Spock herausfinden konnte, es muss ihn schwerer aus der Bahn geworfen haben als angenommen. Wie Pike Burnham eröffnet, hat sich sein Wissenschaftsoffizier auf eigenen Wunsch, und ohne seine Familie davon in Kenntnis zu setzen, in psychiatrische Behandlung begeben.
Während ihr Bruder also in Depressionen abzugleiten scheint, zweifelt auch Burnham an ihrem Verstand: Sie rätselt über die engelsgleiche Figur, die ihr auf dem Asteroiden aus Folge Eins erschienen ist. War es Einbildung, Delirium – oder war dort tatsächlich noch jemand außer ihr und Pike? Die Erinnerungen plagen den Wissenschaftsoffizier sichtlich, doch noch fühlt sie sich ihrem Captain nicht nahe genug, um ihn ins Vertrauen zu ziehen. Da werden die beiden Sternenflottenoffiziere auf die Brücke gerufen: Ein weiteres Signal ist aufgetaucht; im Beta-Quadranten, mehr als 150 Jahre bei Maximum-Warp entfernt. Zeit, den Sporenantrieb zu entstauben.
Die Existenz Gottes
Es ist ein fantastisches Intro für eine Folge Star Trek: Discovery, die eine Rückkehr zu den philosophischen Wurzeln des Universums von Gene Roddenberry ist. Und niemand sonst hätte sie wohl besser inszenieren können, als Star Trek-Altmeister Jonathan Frakes, der zum zweiten Mal für Discovery Regie führt und mit “New Eden” ein nur allzu vertrautes Terrain betritt. Als Commander Riker hat er an Bord der Enterprise-D dutzende Abenteuer wie dieses bestehen musste. Oft hat er dabei mit Captain Picard über die Oberste Direktive der Sternenflotte diskutiert, so wie Burnham und Pike in dieser Folge das Für und Wider des Gebots der Nichteinmischung in die Entwicklung von Planeten abwägen. Frakes geleitet Zuschauer und Darsteller so souverän durch den Plot, wie ein Reiseführer, der eine Gruppe Wanderer unversehrt durch unwegsames Gelände bringt, weil er jeden Stein und jede Stolperfalle kennt. Es ist Frakes Verdienst, dass die Handlung niemals in ins Lächerliche kippt; keine Selbstverständlichkeit bei dem Thema. Immerhin geht es um nichts weniger als um die Existenz Gottes.
Nicht, dass Star Trek je große Probleme gehabt hätte, sich sich mit den großen philosophischen Fragen der Menschheit auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: Sie sind ein Eckpfeiler dieses Science-Fiction-Franchise. Egal, welche Raumschiffcrew in welcher Serie gerade an Deck war: Immer wieder traf sie auf Wesenheiten, die die scheinbare Überlegenheit des Menschen buchstäblich mit einem Fingerschnippen in Frage stellten. Doch nicht immer gelang der Exkurs ins Metaphysische: Der gottgleiche Eulenspiegel-Charakter “Q” aus “The Next Generation” spaltet bis heute die Fangemeinde. Nun ist es also an der Discovery, sich damit zu beschäftigen, wo die Grenzen des Erklärbaren verlaufen. Und wie wir mit dem umgehen, dass das Potenzial hat, unsere Vorstellungskraft, aber auch die der sonst unerschütterlichen Burnham zu sprengen.
Deus ex Machina
Am Zielort angekommen, macht die Discovery nämlich eine überraschende Entdeckung: Sie sind nicht die ersten Menschen im Beta-Quadranten. Sie entdeckene eine bis dahin unbekannte Kolonie von Menschen aus der uns nahen Zukunft: Im Jahr 2050 gelangte auf zunächst unerklärliche Weise eine Gruppe von Menschen mitten im Dritten Weltkrieg auf einen weit entfernten Planeten, kurz bevor sie der nukleare Fall-Out auslöschen konnte. In ihrer neuen Heimat rauften sich die Siedler aus unterschiedlichen Ethnien und Religionsgemeinschaften zusammen und schufen eine pan-religiöse Gesellschaft. Im Zentrum ihrer Verehrung steht ein Wesen, dass, wie wir auf einem Kirchenfenster erkennen, auf frappierende Weise an die Figur erinnert, die Michael in der ersten Folge erschienen ist. Während Burnham nach einer rationalen Erklärung für all das sucht, bringt Pike eine andere Möglichkeit ins Spiel: Möglicherweise ist hier eine Macht am Werk, die selbst mit dem Wissen der Menschheit im 23. Jahrhundert nicht erklärt werden kann.
“New Eden” ist ein Fest für jeden belesenen Science-Fiction-Fan. Wild werfen die Charaktere mit Aphorismen aus der Literaturgeschichte um sich, zitieren Klassiker des 16. Jahrhundert und Autoren des 21. Jahrhunderts: “Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, Horatio”, shakespeart Pike zunächst und legt gleich mit dem britischen Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke nach. Der hatte Mitte des 20. Jahrhunderts drei Thesen geprägt, die als “Clarkesche Gesetze” bekannt sind. Das in dieser Folge zitierte dritte Gesetz: “Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic” nahm der amerikanische Essayist Michael Shermer im Jahr 2002 als Ausganspunkt für eine Kolumne im Magazin “Scientific American”, in der er sich mit der Frage beschäftigte, welche Auswirkungen das Auftauchen einer außerirdischen Intelligenz auf das Verhältnis von Religion und Wissenschaft hätte. Seine Annahme und Weiterentwicklung des Clarkeschen Gesetzes, die hier von Christopher Pike wiederholt wird, lautet: “Jede ausreichend fortschrittliche außerirdische Intelligenz ist von Gott nicht zu unterscheiden.”
Clarke, Shermer, Kurzweil
Die Referenz der Drehbuchautoren auf den Shermer-Aufsatz endet reicht aber viel weiter: Um die technologische und wissenschaftliche Überlegenheit einer solchen Intelligenz zu verdeutlichen, stellt Shermer einen Bezug her zur rasanten technologischen Entwicklung unserer Zeit. Unter Berufung auf Ray Kurzweil, Chefentwickler bei Google und Pionier der Erforschung Künstlicher Intelligenz, geht Shermer davon aus, dass die Computertechnologie etwa im Jahr 2050 den Punkt einer Singularität erreicht, also allem menschlichen Denken überlegen sein wird. Shermer geht davon aus, dass eine außerirdische Intelligenz, die in der Lage wäre, die Erde aufzusuchen, diesen Entwicklungsstand noch einmal um ein Vielfaches übertreffen müsste.
Die Prämisse dieser Folge ist also: Shermer, Clarke und Kurzweil (und Shakespeare) haben Recht behalten. In dem Moment, in dem der Zustand einer Singularität erreicht wird, bricht laut Star Trek der Dritte Weltkrieg auf der Erde aus (ob eine Kausalität besteht, bleibt offen). Laut Shermer und Clarke ist der einzige Ausweg aus diesem Zustand das Erreichen einer höheren Bewusstseinsstufe. Das gelingt im Star Trek-Kanon im Jahr 2063, als Zefram Cochrane seinen ersten Warp-Flug durchführt. Dieses epochale Ereignis ist zentraler Bestandteil des ebenfalls von Jonathan Frakes dirigierten Trek-Kinofilms “First Contact”. Darin erleben wir, wie der fiktive Wissenschaftler, ganz im Sinne Shermers, das Tor zu den Sternen aufstößt (“Ad Astra!”) und gleichzeitig das zweite Clarkesche Gesetz erfüllt: “The only way of discovering the limits of the possible is to venture a little way past them into the impossible.”
Die Grenzen des Möglichen
Die Grenzen des Möglichen auszuloten wird dabei nicht nur für Michael Burnham und Christopher Pike zum Leitmotiv dieser Folge. Auch Fähnrich Tilly geht an die Grenzen der Gesetze der Physik, um im dramatischen Finale den neu entdeckten Planeten und seine Bewohner vor der Zerstörung zu retten. Wie auch Burnham hat sie dabei eine metaphysische Erfahrung: Nach einem Unfall mit dem von ihr untersuchten Meteoriten entwickelt die ehrgeizige Offizierin eine Art Sixth Sense und begegnet einer alten, allerdings laut Sternenflottendaten längst verstorbenen Schulfreundin. Damit ist sie die zweite Person an Bord der Discovery, die einen Draht ins Jenseits entwickelt: Paul Stamets, oberster Sporenantreiber der Discovery, ist inzwschen fest davon überzeugt, bei seinen Trips ins kosmische Pilzreich dem Geist seines toten Lebensgefährten Dr. Culber zu begegnen. Klingt alles völlig gaga? Vielleicht. Aber damit sind wir wieder bei Clarke. Was einem übersinnlich, magisch oder göttlich erscheint, hängt vor allem vom eigenen Standpunkt ab.
So wird “New Eden” zu einem vielschichtigen Diskurs über Realität und Fiktion, über Religion und Wissenschaft, über Verstand und Vorstellungskraft. Nicht alles, was wir glauben ist, ist wahr. Aber in so manchem Glauben steckt oft mehr als nur ein Stückchen Wahrheit. Versteckt in all dem ist eine mächtige Warnung. Genauso wie der bedingungslose Glaube an göttliche Existenz den Blick auf die Wahrheit verstellen kann, birgt auch der Glaube an Technologie und Fortschritt Gefahren: Dass wir darüber vergessen, was uns eigentlich zum Menschen macht. Mehr kann gute Science-Fiction nicht tun.
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