Kinder und Jugendliche sind die eifrigsten Nutzer von Internet, Konsolen und Smartphones. Die meisten Erwachsenen sind deswegen erstmal besorgt. Ich mache jetzt schon länger Kurse und Seminare für Eltern, in denen ich für einen gelassenen Umgang mit Medien in der Erziehung plädiere. Nun konnte ich während einer Projektwoche selbst erleben, was Kids mit Medien so alles auf die Beine stellen können.

Gecheckt Logo auf einem Aufsteller.

„Gecheckt!“ Eine Medienaktion der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW. Alle Fotos sind von mir, wenn nicht anders angegeben.

Als ich am Ort des Geschehens in Neuss-Kaarst ankam, musste ich erstmal schmunzeln. Ausgerechnet an der Astrid-Lindgren-Schule sollte die von der Kölner Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (FJMK) organisierte Aktion “Gecheckt!” stattfinden. Dabei würden wir uns eine Woche lang genau nicht mit Büchern und Literatur beschäftigen. Stattdessen rollten wir mit einem Lieferwagen an, der mit Spielkonsolen, Gaming-Laptops, Kameras und Tablets vollgepackt war.  

Für mich war die Woche eine willkommene Gelegenheit, mit und von jungen Menschen zu lernen, wie Kids heute Medien nutzen. Zwar gibt es Veröffentlichungen wie die JIM-Studie, die uns alljährlich mit vielen, vielen Statistiken beglückt. In denen erfahren wir, dass jede(r) Jugendliche heute ein Smartphone hat, Youtube das beliebteste Online-Angebot ist und Kids sich abseits von Medien immer noch am liebsten mit Freunden treffen (Puh…!). Aber wie Kids Medien im Alltag wirklich nutzen, was sie drauf haben und wie es ihnen dabei ergeht, darüber verraten uns die nackten Zahlen nichts.

Bevor ich von meinen Erfahrungen berichte, noch eine Bemerkung vorab: Die Gruppe bestand aus rund 30 Jungen und exakt sechs Mädchen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zwischen elf und 16 Jahren alt. Ich behaupte nicht, dass ALLE Kinder so sind, wie ich es hier erlebt habe. Und es wäre auch falsch, das daraus abzuleiten. Ich teile hier einfach subjektive Beobachtungen und Erfahrungen.

Zocken, zocken, zocken

420 Stunden. So viel Zeit hat Noemi (Name geändert) mit ihrer Nintendo Switch verbracht, seit sie die Konsole im August 2017 geschenkt bekam. Das sind immerhin 17 volle Tage ihres Lebens. Ihr absolutes Lieblingsgame: “Legend of Zelda: Breath of the Wild”, das sie allein 120 Stunden gespielt hat. Und Noemi war nicht der einzige “Gaming-Addict” in dieser Woche.

Eine Kamera in einem Let's Play-Set.

Professionelle Ausrüstung: Die Jugendlichen gingen souverän mit der Technik um.

Zocken, zocken, zocken: Computerspiele waren für nahezu alle, die bei Gecheckt mitgemacht haben, die wichtigste Freizeitbeschäftigung. Während der Vorstellungsrunde sollte sich jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin mit zwei Hashtags vorstellen. Und bei mehr als der Hälfte der Kids fielen Begriffe wie #Gaming, #Gamer oder #Gamergirl.

Auch in den Projekten war Gaming klar das wichtigste Thema. Acht von neun Gruppen beschäftigen sich irgendwie mit Computerspielen. Viele machten mehr oder weniger klassische Let’s Plays. Eine Gruppe verglich alle Spiele der “Fifa”-Reihe von 2013 bis 2018 miteinander, eine andere machte ein typisches Let’s Play mit DEM Spiele-Dauerbrenner der vergangenen Jahre: “Mindestens eine Minecraft-Gruppe ist immer dabei”, hatte mir Projektleiter Markus Sindermann schon vor der Woche prophezeit. Aber es wurde nicht nur geletsplayt, es wurde auch gecodet. Drei Gruppen programmierten eigene Spiele oder hackten bestehende Games und änderten sie nach ihren Vorstellungen um.

Und natürlich haben die Kids jede freie Minute, die nicht in den Gruppen gearbeitet wurde, genutzt, um Handy-Games, auf der mitgebrachten Switch oder den mitgebrachten Konsolen zu zocken. Ein Teilnehmer bekannte ganz offen und ehrlich (immerhin): “Ich bin nur zum Zocken hier.” Klar: Bei mehr als 30 Kids ist die Motivation mitzumachen natürlich unterschiedlich. Die meisten waren aber heiß auf ihre Projekte. Zwar hatten wir nach jeder Mittagspause in bester pädagogischer Absicht eine “medienfreie Zeit” anberaumt, in der alle Geräte mal für eine Stunde aus der Hand gelegt werden sollten/mussten. Doch als am dritten Tag mehrere Gruppen darauf bestanden, direkt weiterarbeiten zu dürfen, um rechtzeitig fertig zu werden, gaben wir klein bei. Und ließen die Teilnehmer machen.

Spielt gemeinsam

Viele Eltern und Erwachsene fürchten, dass Kinder sich isolieren, wenn sie vor dem Rechner hocken und Games zocken. Ich habe das genaue Gegenteil erlebt: Die Spiele haben die Kids zusammengebracht und dazu angeregt, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Nichts ist langweiliger, als ein Spiel alleine zu zocken. Kinder wollen die Erfahrungen, die sie beim Zocken machen, mit den Menschen teilen, die ihnen wichtig sind. Das sind Freunde, aber natürlich auch die Eltern. Nochmal zurück zur Hardcore-Switcherin Noemi: Der für mich bemerkenswerteste Satz der ganzen Woche kam von ihr. Als wir uns darüber unterhielten, wie ihre Eltern es finden, dass sie so viel spielt, sagte sie: “Ich wünsche mir so sehr, dass mein Vater auch “Xenoblade Chronicles” spielt, damit ich mit ihm drüber reden kann.” So eine Aussage spricht für sich, denke ich.

Kein Leben ohne Smartphone
Betreuung bei Gecheckt!

Final Cut: Gemeinsam mit vier Teilnehmern arbeite ich an einem Video. Foto: Saskia Moes

Neben den Konsolen sind Smartphones das zweite Gerät ohne dass die meisten Kids nicht leben können. Manchmal sogar wortwörtlich: Einer der Teilnehmer von “Gecheckt” hat Diabetes. Mit einer App überwachte er seinen Blutzuckerspiegel digital. Instagram und andere Social Networks spielten in der Altersgruppe der bis 16-Jährigen allerdings noch keine große Rolle. Youtube, Handygames und Messenger waren die wichtigsten Anwendungen für die Kids, mit denen ich gesprochen habe.

Am schönsten fand ich den Smartphone-Einsatz in einer Gruppe, die ich betreuen durfte: Vier Kids, alle 12 bis 13 Jahre alt, hatten sich einen Sketch “Grundschule vs. Gymnasium” überlegt. Als wir am Ende von Tag 1 fragten, wie weit die einzelnen Gruppen seien, überraschten die Videofilmer alle: Sie hatten bereits alle Szenen im Kasten. Dabei hatten sie noch nicht mal nach einer Kamera gefragt. Sie hatten einfach alles auf zwei von ihren iPhones gedreht. Das Endergebnis ist ein, wie ich finde, sehr schönes Beispiel, wie man mit einer ganz einfache Idee in kurzer Zeit ein sehr lustiges Video hinkriegen kann.

Dass Handys die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom konzentrierten Arbeiten abgehalten hätten, kann ich aus dieser Woche jedenfalls nicht bestätigen. Im Gegenteil: In den meisten Gruppen wurden die Geräte ähnlich wie in meiner Videogruppe für die Arbeit eingesetzt. Entweder zur Recherche oder um sich Notizen zu machen. Stift und Block brauchte jedenfalls niemand. Klar, es wurden auch fleißig Handygames gezockt oder Videos auf Youtube geguckt. Aber an insgesamt vier Tagen habe ich nur ein einziges Mal ein Handy für zehn Minuten einkassiert, weil es zu viel wurde.

Für mich war diese Woche jedenfalls ein Beleg dafür, wie lohnend Medienarbeit mit Jugendlichen sein kann. Und natürlich weiß ich, dass das nicht für alle gilt. Ich hatte es hier mit Kids zu tun, die total fit waren, aus guten Verhältnissen kamen und ein Mindestmaß an Eigenverantwortung mitbrachten. Natürlich ist das einfacher als mit Jugendlichen zu arbeiten, die soziale oder familiäre Probleme haben. Aber die sind ja deswegen nicht dümmer oder unfähiger im Umgang mit Medien als andere. Sondern vielleicht schwieriger zu erreichen und zu motivieren. Aber ich bin in meiner Auffassung gestärkt worden, dass Smartphones, Tablets und Konsolen unbedingt Teil unserer Erziehung und Bildung sein müssen. Nicht, weil die Kinder den Umgang damit lernen müssen, wie es gerne mit erhobenem Zeigefinger gefordert wird. Sondern einfach, weil es allen Beteiligten sauviel Spaß macht.