Nach dem wilden Ritt der vergangenen Folge nimmt Star Trek: Picard in der sechsten Episode wieder einen Gang raus. Und widmet sich einer der ältesten Fragen der Science-Fiction: Was unterscheidet eigentlich den Menschen von der Maschine?
Die Frage, ob Roboter überhaupt träumen können, ist ein Klassiker der Science-Fiction. Aufgeworfen und ausformuliert hat sie Philipp K. Dick in einer seiner berühmtesten Erzählungen: Aus “Träumen Roboter von elektrischen Schafen?” wurde später der noch berühmtere Film “Blade Runner” mit Harrison Ford. “The Impossible Box” ist aus der gleichen DNA gemacht wie Ridley Scotts Kultfilm von 1982. Genau wie der Cyberpunk-Klassiker widmet sich diese Episode der Frage, was dabei herauskommt, wenn wir versuchen, den künstlichen Menschen zu erschaffen. Und vor allem, was passiert, wenn das künstliche Wesen sich seiner eigenen Existenz und Übermenschlichkeit bewusst wird.
Das Locutus-Trauma
Stimmungsmäßig ist diese Folge geradezu ein Leuchtstrahl der Hoffnung im Vergleich zur Vorwoche. Verbunden werden beide Episoden durch das große Lebenstrauma von Jean-Luc Picard, seiner Vergangenheit als Locutus von Borg. Assimiliert vom Kollektiv und seines freien Willens beraubt, war Picard in der Schlacht von Wolf 359 an der Ermordung Tausender, wenn nicht Zehntausender Menschen beteiligt.
Das Aufeinandertreffen mit der ebenfalls von den Borg befreiten Seven of Nine weckte erste Erinnerungen bei Picard an diese dunkle Zeit. Die Ex-Borg hat ihren Weg gefunden, mit der düsteren Vergangenheit umzugehen. Als Rangerin gibt sie vor, den Schwachen zu helfen. Doch wie wir gesehen haben, ist Seven gefangen in einer Welt von Rache und Gewalt. Sie ist möglicherweise zu dem geworden, was sie eigentlich bekämpfen wollte. Seven hat ihre Menschlichkeit (noch) nicht wiedergefunden.
In “The Impossible Box” begegnet Picard nun einem anderen Ex-Borg aus seiner Vergangenheit wieder. Hugh, der einst von der Enterprise aus dem Kollektiv befreit wurde, kriegt in dieser Folge die Chance, sich zu revanchieren. Die Begegnung mit Hugh wird zur dringend nötigen Seelenmassage für den geplagten Ex-Captain.
Hughs Versuche, die befreiten Ex-Borg zu rehabilitieren und von ihrem Trauma zu heilen, öffnen Picard die Augen. Die vermeintlichen Täter werden zu Opfern, die von einer künstlichen Intelligenz ihrer Seele beraubt wurden. Diese Erkenntnis erlaubt es Picard, sich von seinen Schuldgefühlen zu befreien und die ihm aufgezwungene Identität als Locutus hinter sich zu lassen. Auch er ist ein Opfer der Borg und kein Massenmörder.
Die Androidin erwacht
Das Picard so langsam mit sich selbst ins Reine kommt, ist auch gut so, denn Soji wird sein ganzes Einfühlungsvermögen benötigen. Die Zwillingsschwester der in Folge Eins getöteten Androidin Dahj hat in dieser Folge buchstäblich ihr Erweckungserlebnis. Die Existenz, der sie sich bislang bewusst war, entpuppt sich als Konstrukt eines Entwicklers. Doch wer ist diese Person? Die Androidin hat Träume von ihrem Erschaffer, kann ihn jedoch nicht identifizieren. Doch wenn Soji eine künstliche Lebensform ist, was sind dann ihre Träume wert? Sind sie lediglich einprogrammierte Konstrukte und Teile ihres eigenen Algorithmus? Und wenn nicht, bedeutet das, dass Soji ein eigenes Unterbewusstsein entwickelt hat und damit die Grenze zu einer eigenständigen, selbstbewussten Lebensform überwunden hat?
Das, was Soji bisher für ihr Unterbewusstsein hielt, entpuppt sich jedenfalls als raffinierter Mechanismus ihrer Programmierung, die Erkenntnis über ihr wahres Selbst zu unterdrücken. Die Logik: Um alle anderen von ihrer Menschlichkeit überzeugen zu können, muss die künstliche Lebensform selbst an ihre Menschlichkeit glauben. Es ist ein uraltes Motiv aus der Roboter Science-Fiction, das am eindringlichsten in “Blade Runner” verarbeitet wurde. Insbesondere das Motiv der Fotografien einer Mutter als unverrückbarer Realitätsanker für die Androidin sind ein deutlicher Verweis auf das große Vorbild.
Kaum ist die Selbsttäuschung allerdings aufgehoben, überwindet Soji folgerichtig die Grenzen des Menschlichen und zeigt übermenschliche Stärke und Sinne. Die erweisen sich auch sofort als hilfreich, um von dem Borg-Kubus zu entkommen.
Am Ende haben unsere beiden Hauptcharaktere nicht nur zueinander, sondern auch ihren wahren Charakter gefunden. Picard konnte mit Hughs Hilfe seine Schuldgefühle überwinden und sein Borg-Trauma endlich hinter sich lassen. Soji wird sich ihrer eigentlichen Identität bewusst und überwindet die Grenzen ihrer Programmierung. Nun muss sie nur noch die Wahrheit über ihre Vergangenheit herausfinden.
TNG-Tipp der Woche (S07E06): Phantasms (dt. Titel: Traumanalyse)
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