Jeder, der sich schon mal mit Zeitreisen beschäftigt hat, kennt das Problem: Entweder, unsere Zukunft steht fest, und egal, was wir tun, das Ergebnis ist immer dasselbe. Schöner wäre es natürlich, wir hätten unser Schicksal selbst in der Hand. Jede Zukunft ist immer nur eine von vielen Möglichkeiten; und jede Entscheidung, die wir treffen, ist ein neuer Würfelwurf. Oder aber: Es stimmt beides. Und die Zukunft ist noch viel komplizierter als wir es uns überhaupt vorstellen können. Die zwölfte Folge der zweiten Staffel Star Trek: Discovery schafft es nach langer Zeit mal wieder, mich zu begeistern, in dem sie eine faszinierende Fragestellung in eine hochspannende Geschichte verpackt.
Es ist fünf vor zwölf: Die K.I. Control übernimmt immer mehr Schiffe von Sektion 31. Und die Chancen, diesen übermächtig erscheinenden Gegner noch aufhalten zu können schwinden. Da taucht ein weiteres der nach wir ungeklärten Red Signals auf und deutet auf eine mögliche Lösung hin: In einem Kloster auf dem klingonischen Planeten Boreth werden die Zeitkristalle abgebaut, die den Zeitreiseanzug von Mutter Michael Burnham mit Energie versorgen. Während Pike versucht, den klingonischen Mönchen einen solchen Kristall abzuschwatzen, machen sich Burnham und Spock auf die Jagd nach Control.
Klingonen im Wandel der Zeit
Sprechen wir die unbequeme Wahrheit, die “Through the Valley of Shadows” zugrunde liegt direkt aus, damit wir uns danach einfacher den guten Dingen zuwenden können: Die Zeitkristalle sind die nächste unsinnige Krücke, die Discovery braucht, um auf den Beinen zu bleiben. Zum ersten Mal aufgetaucht sind sie in der Folge “Magic to make the sanest Man go mad”. Aber das war eine durchgeknallte Harry Mudd-Fiesta, die nicht wirklich ernst genommen werden wollte. Ob es für Mudd’s verrückte Reise durch die Zeit einen Edelstein oder einen magischen Schnürsenkel gebraucht hätte, war ohnehin egal. Jetzt auf einmal aber sind die Zeitkristalle nicht nur das nächste große Ding. Sie liegen auch noch bei den Klingonen im Hinterhof rum. Müssten die Klingonen nicht die mächtigste Alienrasse im ganzen Quadranten sein mit so viel Zeitreisepower? Mal wieder landet Discovery beim Versuch über den Fluss zu springen direkt in der nächsten Pfütze.
Egal, wir sind nicht hier, um diese Folge auseinanderzupflücken (obwohl ich noch so einiges zum Aus-dem-Nichts-Comeback von Ingenieurin Tig Notaro nach fast zehn Folgen Abwesenheit zu sagen hätte). Dafür bietet sie einfach zu viel Gutes. Allen voran Christopher Pike, der sich seiner eigenen Zukunft stellen muss, um einen Zeitkristall von den Klingonenmönchen zu bekommen. Er begegnet dem Klingonen-Papst Tenavik, der sich in einem ebenso überraschenden wie zu diesem Zeitpunkt irrelevanten Plot-Twist als bereits erwachsener Sohn von L’Rell und Tyler-Voq herausstellt (s. S02E03). Tenavik gibt dem Discovery-Captain zunächst eine Führung durch den Herr-der-Ringe Themenpark auf Boreth, dann darf Pike die Lottozahlen von morgen sehen. Und wie es aussieht, gehört er nicht zu den Gewinnern. In einer ebenso dramatischen wie erschreckenden Szene begegnet Pike seinem zukünftigen, schwer gezeichneten Ich.
Pike, der Held
Es ist eine Szene, die für Star Trek-Kenner umso verstörender ist. Zwar erklärt Tenavik dem sichtlich mitgenommenen Pike: Nimm den Zeitkristall – und dieses Schicksal wird für immer in Stein gemeißelt sein. Doch irgendwo in Pike wird ein Fünkchen Hoffnung ruhen, dieser Zukunft noch entgehen zu können. Diese Hoffnung, das wissen alle Fans der Original-Serie, wird sich nicht erfüllen. Es ist Pikes heroischster Moment, seit er die Discovery übernommen hat und Anson Mount spielt Pikes Mischung aus Verzweiflung, Heldenmut, Pflichtgefühl und Fatalismus fantastisch.
Auch Burnham sieht sich mit ihrer Zukunft konfrontiert. Doch im Gegensatz zu ihrem Captain hat sie noch ein Wörtchen bei ihrem Schicksal mitzureden. Zunächst muss sie sich aber dem Endboss dieser Staffel stellen: Control erwartet Burnham und Spock bereits und versucht, die Kontrolle über Burnhams Körper zu gewinnen. Der Angriff von Control auf Burnham gehört zu den furchterregendsten Dingen, die in dieser Serie bislang passiert sind. Und Sonequa Martin-Green, die zuletzt immer mal wieder einen Schritt zu weit gegangen ist mit ihrem Overacting, steht der Horror ins Gesicht geschrieben, als eine Heerschar Nanoroboter wie ein Schwarm tödlicher Insekten auf sie zustürzt. Im letzten Moment gelingt es Spock seine Schwester zu retten. Endlich bekommt er mehr zu tun, als in der Ecke zu stehen und zu grübeln. Der Endboss ist vorläufig besiegt, doch der Kampf geht weiter: Seine finale Form hat Control noch nicht erreicht. Allerdings hat die K.I. ihren Schwachpunkt verraten. Spock erkennt, dass Control ein Restrisiko für ihre Pläne ausgemacht hat. Und dieses Risiko hat einen Namen: Michael Burnham.
Through the Valley of Shadows nimmt die Zuschauer wahrhaftig mit auf eine düstere Reise. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Pike den Kampf gegen Control zum Kampf um die Zukunft ausgerufen, in dem darum geht, das Leben im Universum zu retten. Das klingt groß, fast schon zu groß, um wirklich Spannung zu erzeugen. Die Apokalypse wird ziemlich sicher nicht eintreten, das verbietet allein schon die Dramaturgie der Serie, weswegen ich kein Fan solcher absurden Bedrohungsszenarien bin. Das Schicksal einzelner Charaktere hingegen ist viel weniger klar. Das gilt auch für den Titelcharakter dieser Serie: Denn ab sofort steht auch das Fortbestehen der Discovery selbst auf dem Spiel. Möglicherweise muss sie geopfert werden, um Control zu besiegen, die Option “Selbstzerstörung” ist ausdrücklich auf dem Tisch.
Star Treks große Stärke
Der große Spaß an Science-Fiction ist, dass wir über Lösungen und Alternativen für Probleme diskutieren können, die für uns nicht in Frage kommen. Indem Star Trek uns Role Models für solche Gedankenexperimente präsentiert, werden wir motiviert, auch uns selbst zu hinterfragen. Am Ende dieser Folge haben wir ein Reihe von Szenarien bekommen, um für uns selbst zu überlegen: Wie würde ich Entscheidungen treffen, wenn ich meine eigene Zukunft kenne? Das Ganze wird verknüpft mit einer hochaktuellen Debatte: Was passiert mit uns und unserer Gesellschaft, wenn eine Künstliche Intelligenz die Entscheidungen für uns trifft? In den besten Folgen Star Trek stehen nicht die Charaktere der Serie im Mittelpunkt, sondern wir Zuschauer. Star Trek existiert seit mehr als einem halben Jahrhundert, weil es mehr es ist, als pure Weltraum-Unterhaltung. Es liefert Diskussionsstoff und motiviert uns, uns mit gegenwärtigen Problemen zu beschäftigen. Es ist gut, dass Discovery sich von Zeit zu Zeit auf diese Stärke zurück besinnt.
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