Balance ist das Zauberwort dieser Episode Star Trek: Discovery. Vordergründig geht es dabei um den Machtkampf zwischen den zwei Spezies auf Sarus Heimatwelt. Doch auch der erste Offizier der Discovery ist auf der Suche nach dem Gleichgewicht. Und löst dabei um ein Haar einen interstellaren Konflikt aus.

Wer an Bord der Discovery steckt eigentlich noch in seinem eigenen Körper? Selbst das Raumschiff müsste eigentlich schon eine Identitätskrise zu haben. Schließlich soll sich die U.S.S. Discovery angeblich auf einer Wissenschaftsmission befinden. Doch in Staffel Eins machte ihr Borderline-Captain sie zu einer Waffe. Nun befindet sie sich auf einer interstellaren Schnitzeljagd nach einem verrückten Vulkanier. Die Umgebung prägt ihre Bewohner: Die Suche nach sich selbst wird zum Leitmotiv für viele Charakter in dieser zweiten Staffel.

Wo ist die Narbe hin?

Der nächste in der Reihe: Der totgeglaubte, aber wiederbelebte Arzt der Discovery mag zwar wie Dr. Hugh Culber aussehen. Aber ob er es wirklich ist, wird sich noch zeigen. Sein Körper ist jedenfalls nicht derselbe, das stellt Lt. Comd. Stamets zu seinem eigenen Bedauern fest: Eine “sexy Narbe” auf der Schulter seines neu zusammengesetzten Lebensgefährten ist plötzlich verschwunden. Genauso, wie das Selbstvertrauen des Arztes, der sichtlich mit seiner wiedergewonnen Existenz fremdelt. Vielleicht hilft es dem Traumpaar aller Science-Fiction-Fans, dass sie nun eine weitere Sache gemeinsam haben. Schließlich wurde im Laufe dieser von körperlichen Eingriffen geradezu besessenen Serie auch schon die DNA von Paul Stamets verändert. Wir erinnern uns: In Staffel Eins jagte Stamets sich Chromosomenketten eines Bärtierchens in den Körper, um den Sporenantrieb bedienen zu können.

Und wo wir gerade von körperlichen Veränderungen reden: Commander Saru macht in “The Sounds of Thunder” eine Art Pubertät durch. Mit allem was so dazu gehört. Der einst ängstliche Bedenkenträger rebelliert wie ein Teenager gegen Autoritätspersonen, hält sich auf einmal für den Mittelpunkt des Universums und legt sich mit Typen an, die deutlich stärker sind als er. Kein Wunder, dass Captain Pike irgendwann die Geduld mit seinem renitenten Offizier verliert und den jungen Mann erstmal auf sein Zimmer schickt, damit der über sein Verhalten nachdenken kann. Als ob das je geholfen hätte: Saru tut das, was jeder 15-Jährige in dieser Situation tun würde. Er haut von zu Hause ab. Zur Entschärfung des Konflikts trägt er damit freilich nicht bei.

Suche nach dem Gleichgewicht

Wenn diese Folge eines zeigt, dann, dass Discovery immer dann am stärksten ist, wenn sich die Serie auf einen Charakter und ein Thema konzentriert. Wie würde sich ein Mensch verhalten, dem von einem Tag auf den anderen die Angst genommen wurde? Es ist eine interessante Frage, mit der sich Saru hier auseinandersetzen muss. Seine eigene charakterliche Entwicklung wird dabei von der auf seinem Planeten gespiegelt. Wie wir in dieser Folge erfahren, hatten im Laufe der Jahrtausende mal Kelpianer, mal Ba’ul die dominante Position auf Sarus Heimatwelt Kaminar inne. Doch ein echtes Gleichgewicht zwischen den Völkern existierte nie. Die vermeintliche Balance war in Wahrheit das Gegenteil: Stets hat ein Volk das andere unterdrückt.

So, wie der Planet und seine Bewohner ein neues Gleichgewicht der Kräfte finden müssen, muss auch Saru lernen, seine Persönlichkeit neu zu sortieren. Einst hat ihn seine Furcht kontrolliert. Sie machte ihn zögerlich, aber auch besonnen. Nun entdeckt er eine ungeahnte Stärke in sich, die ihn selbstbewusster, aber auch unbeherrscht werden lässt. Zum Katalysator für Sarus Charakterentwicklung wird dabei seine Schwester Siranna, großartig gespielt von Hannah Spear. Die emotionale Beziehung zwischen den beiden Geschwistern ist der Schlüssel zu dieser Folge, die über zwei Drittel hervorragend funktioniert. Leider fällt sie am Ende auseinander wie kelpianische Ganglia nach einem Vaharai.

Balance ist dabei einmal mehr das Stichwort. Denn ausgerechnet diese geht am Ende von “Sounds of Thunder” verloren. Lang und breit haben Michael Burnham, Saru, Ash Tyler und Captain Pike zu Anfang der Episode über “General Order 1” gesprochen und diskutiert, inwieweit die Discovery in die bestehende Ordnung auf Kaminar eingreifen dürfe. Tenor: Minimal-Invasiv, behutsam, mit der größten gebotenen Vorsicht. Nicht mal Saru selbst wollte Pike auf den Planeten lassen, fürchtete er doch, die Rückkehr des verlorenen Sohnes könnte das Volk verstören. Doch dieses Herantasten wird im überhasteten Finale über den Haufen geworfen, als Pike auf Anraten von Saru beschließt, den kompletten Planeten zu verstrahlen, mit dem Ziel, die wesensverändernde Metamorphose bei allen(!) Bewohnern einzuleiten. Auch bei weitester Auslegung der wichtigsten Regel der Sternenflotte scheint diese drastische Maßnahme ein Schuss übers Ziel hinaus zu sein. Es ist ein wahnwitziger Plan, der den Planeten in Chaos und Anarchie stürzen müsste.

Space-Wikipedia

Darüber hinaus schreiben sich die Autoren von Discovery einmal mehr einen Klotz ans Bein: Der übermächtige Sporenantrieb war schon keine gute Idee, weil er viel zu viele Fragen aufgeworfen hatte und spannende Stories eher im Keim erstickte als dass er sie ermöglichte. Nun begehen die Autoren diesen Fehler ein zweites Mal, in dem sie der Discovery eine Art allwissendes Weltraum-Wikipedia spendieren. Vor Kurzem hatte sich die Discovery eine gewaltige Menge Daten von einem sterbenden Planeten runtergeladen. Eigentlich, so hieß es, sollte es Generationen dauern, diese vollständig auszuwerten. Zum Glück hat die Discovery Datas unbekannte Großtante an Bord: Die kypernetisch verbesserte Cyborg-Lady Airiam ist offenbar in der Lage, das gigantische Wissen der Weltraum-Wikipedia in wenigen Minuten zu erfassen. Und findet, wie es der Zufall will, direkt die passende Lösung zum Dilemma der Kelpianer in der Datenbank. Warum sich Discovery ein zweites Mal einen solchen Deus-Ex-Machina-Mechanismus antut, bleibt unklar. Ein Gefallen hat sich die Serie damit jedenfalls nicht getan.

Fazit: Die zweite Staffel von Discovery wirkt noch nicht wie aus einem Guss. Während vor allem die Charaktere sehr spannend und interessant weiterentwickelt werden, rumpelt die Haupthandlung nach wie vor reichlich unruhig durch den Alpha-Quadranten.