Picard landet in Gutsherrenart auf einem Wüstenplaneten, wo die Bewohner “Die Drei Musketiere” nachspielen. Das klingt nach einem TNG-Plot der ersten Staffel. Ist aber ernst gemeint. 

Star Trek hat einen Ruf als offene, progressive und diverse Show. Es ist Teil des Gründungsmythos der Serie. Wir denken an Uhura, eine dunkelhäutige, starke Frauenrolle in einer US-Show in den 1960ern, die keine Unterdrückte oder Kriminelle war. Wir denken an Captain Sisko und Captain Janeway, die das Stereotyp der männlichen, weißen Hauptfigur im Fernsehen durchbrachen, als Diversity selbst in den USA noch ein Fremdwort war.

Doch genauso unvergessen sind die kapitalen Fehltritte des Franchise. Die Darstellung der Ferengi etwa, einer hyperkapitalistischen Alienraisse aus The Next Generation und Deep Space Nine, hat nach wie vor einen sehr faden, antisemitischen Beigeschmack. Einige der frühen Folgen von The Next Generation sind so unfassbar rassistisch oder sexistisch, sie würden bei heutiger Ausstrahlung einen #Aufschrei auf Social Media verursachen, der die komplette Show hinwegfegen würde.

New Work auf Neu Romulus

Insofern ist die vierte Folge von Star Trek: Picard, “Absolute Candor” auch ein Versuch, mit diesem zwiespältigen Erbe umzugehen. Sehr gelungen ist der Ansatz, die Romulaner endlich als das vielschichtige Volk zu zeigen, dass sie schon vor 30 Jahren hätten sein müssen. Der prägende Wesenszug der Romulaner war immer: Intrige. Ein Planet, auf dem es zugeht, wie im alten Rom, wo sich Senatoren, Imperatoren und Cäsaren allmonatlich gegenseitig den Dolch in den Rücken rammten.

In Picard wird aus dieser Vorlage endlich mehr gemacht. So treffen wir einen weiteren romulanischen Orden (der wievielte ist das jetzt? Ich habe aufgehört zu zählen.), die eine Gegenbewegung zum romulanischen Ideal der Heimlichtuerei bilden. Sie leben nach dem Prinzip der „Absoluten Ehrlichkeit“, ein Konzept übrigens, das eine irdische Entsprechung hat. Radical Candor ist ein modernes Führungs- und Managementprinzip, dass vor allem in der Welt von New Work und der digitalen Produktentwicklung angewandt wird.

Warlords im Flüchtlingslager

Picard ist diesem, bezeichnenderweise rein weiblichen, Orden freundschaftlich verbunden. Es ist einer der wenigen Orte, an denen sein Ruf als Retter des romulanischen Volkes noch nicht verblasst ist. Die meisten Bewohner des Flüchtlingsplanenten, auf dem ein großer Teil der Angehörigen des einst mächtigen Imperiums gestrandet ist, begegnen Picard offen feindselig.

Kein Wunder: Analog zu den Flüchtlingen des 21. Jahrhunderts auf unserem Planeten, wurden die Romulaner in ein Camp gesteckt und dann sich selbst überlassen. In der Abwesenheit gesellschaftlicher Regeln und staatlicher Fürsorge, entwickelte sich eine gesetzlose Gemeinschaft, in der das Recht des Stärkeren gilt. Warlords haben hier das Sagen, der einst lange Arm der Föderation reicht nicht weit genug, um Sicherheit und Wohlstand in diesem Winkel des Alls zu ermöglichen. Es ist einmal mehr ein bissiger Kommentar der Star Trek-Autoren auf die Politik heutiger Zeiten.

Zwiespältiger ist das Auftreten und die Inszenierung des Protagonisten. Jean-Luc Picard tritt in dieser Folge auf wie ein Kolonialherr, der seine alte Plantage besucht. Es ist ein Eindruck, der gewollt ist. Zu deutlich ist das weiße Panama-Outfit des ehemaligen Admirals ein Verweis auf die Optik und die Attitüde mittelamerikanischer Gutsherren. Gönnerisch versorgt der alte, weiße Mann die verarmte und entwurzelte Bevölkerung der Romulaner mit den Erzeugnissen seiner eigenen Kultur. Picard, ein Imperialist? Das vielleicht nicht. Aber ein Scheinheiliger, das ist er geblieben.

Eiskalte Engel auf dem Borgschiff

So kann der hoch privilegierte Ex-Admiral es nicht lassen, ausgerechnet den von der Föderation zurückgelassenen Romulanern zu erklären, was er von ihrem Nationalismus hält. Nun erhält Picard für sein provozierendes und überhebliches Verhalten die angebrachte Quittung. Glücklicherweise verzichten die Macher an dieser Stelle darauf, den 90-Jährigen Greis als fitten Schwertkämpfer zu inszenieren. Die Auflösung dieses Konflikts gerät dennoch daneben, als es ausgerechnet der schwarze Romulaner ist, der seinen Kopf in der Auseinandersetzung verliert. Uhura würde sich schaudernd abwenden. Ich verstehe die Gratwanderung, die die Serie in dieser Szene machen möchte. Ich glaube, sie gelingt nicht völlig.

Was ebenfalls überhaupt nicht gelingt, ist die Parallelstory an Bord des Borgwürfels. Die hat angefangen als eine Art Haunted-House-Horror. Inzwischen sind wir bei einem müde Abklatsch vom 1999er-Teen-Drama “Eiskalte Engel” angekommen. Es ist eine fade Teen-Romanze, die, auch wenn man sie mit einer Prise sexy Inzest würzt, nicht interessanter wird. Dieser Teil der Geschichte muss jetzt sehr schnell Fahrt aufnehmen, ansonsten verliere ich das Interesse. Der gruselige Schauplatz an Bord des Borgschiffs böte so viele Möglichkeiten für spannende Szenarien. Doch statt Borgdrohnen zu untersuchen und die dunklen Gänge dieses Raumschiffs zu erforschen, knutschen unsere Hauptcharaktere aneinander rum wie zwei verklemmte 14-Jährige hinter der Turnhalle.

Insgesamt ist auch die vierte Folge von Picard für mich ein Gewinn, vor allem wegen des furiosen Finales mit dem fantastischen Cliffhanger. Aber es ist der erste Spannungsabfall in der bis jetzt großartigen Serie.

Der TNG-Tipp der Woche

Passend zur heutigen Folge könnt ihr euch TNG (S01E04): Der Ehrenkodex (engl.: Code of Honor) angucken.

Das üble Machwerk gilt als eine der schlechtesten und rassistischen Star Trek Folgen aller Zeiten. Es ist ein Autounfall, bei dem man nicht weggucken kann.