Die Suche nach der eigenen Identität ist das Leitmotiv der achten Episode von Star Trek: Picard. Die romulanischen Zhat Vash planen derweil ihren großen Feldzug gegen künstliche Lebensformen. Das zwingt Seven of Nine zu einem drastischen Schritt.

Star Trek: Picard (und Star Trek im Allgemeinen) beschäftigt sich intensiv damit, was uns als Menschen ausmacht, was genau Leben, Bewusstsein und Persönlichkeit definiert. Außerirdische, übermenschliche und künstliche Lebensformen fordern unsere herkömmlichen Vorstellungen von “Menschlichkeit” heraus und regen uns dazu an, über unsere eigene Existenz nachzudenken und unsere Grundwerte zu reflektieren. Zum Beispiel ist unsere Fähigkeit, Kinder zu zeugen, für sie zu sorgen und sie zu erziehen ein Wesensmerkmal der menschlichen Zivilisation. Doch was, wenn Roboter ihren eigenen Nachwuchs erschaffen? In “Broken Pieces” (dt. Bruchstücke) hinterfragt nun die Tochter eines Androiden ihre eigene Persönlichkeit. Parallel dazu adoptiert Seven of Nine quasi die zurückgelassen Borg und Ex-Borg auf dem Kubus.

Gute Roboter, böse Roboter

Teil der Utopie von Star Trek war es, dass künstliche Lebensformen erstens der Menschheit nutzen sollen und zweitens ihre faktische Überlegenheit bewusst hinten anstellen und die Werte und Gesetze des menschlichen Zusammenlebens anerkennen. Data war die Personifizierung dieses positiven Roboterbildes, das zu großen Teilen auf Isaac Asimov und seinen drei Robotergesetzen basiert. Die Borg, als kybernetische Lebensform mit biologischen Komponenten, waren der düstere Gegenentwurf zu dieser Utopie des freundlichen Roboters, quasi die Terminatoren im Star Trek Universum. Sie verkörpern die Angst der Menschen vor der Überlegenheit einer künstlichen Intelligenz, die sich den Menschen Untertan macht (und nicht umgekehrt).

Doch in der kollektiven, maschinellen Intelligenz liegt zugleich die größte Schwäche der Maschinenwesen, so zumindest die Vorstellung der zukunftsgläubigen Utopisten von Star Trek. Indem die Borg die Angehörigen ihrer Rasse jedweder Individualität berauben, nehmen sie ihnen das, was uns Menschen gerade auszeichnet. Der freie, individuelle Wille triumphiert letztlich über den gleichgeschalteten Kollektivgeist.

Es ist nicht schwer, darin auch eine Metapher auf den Systemkonflikt des Kalten Krieges zu erkennen, der prägend für das Star Trek der 1980er und 1990er Jahre war. Doch diese Analogie funktioniert im zweiten beginnenden dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Und so erforschen die Autoren von Star Trek: Picard die Grauzonen dieser gegensätzlichen Roboter-Philosophien.

Being an Android

Datas idealisiertes Streben nach Menschlichkeit spielt für die hochentwickelte, von einem echten Menschen kaum mehr zu unterscheidende Androidin Soji keine Rolle. Im Gegenteil: Soji musste ihre Menschlichkeit nicht entdecken, sie wurde ihr einprogrammiert. Doch damit haben Sojis Erschaffer ihre wahre Natur vor ihr verborgen und sie ihrer Identität beraubt. Anders als Data muss Soji nun herausfinden, was es bedeutet, eine Androidin zu sein.

Aus der Entscheidung, ihre überlegenen Androidenfähigkeiten zu unterdrücken, spricht noch dazu eine gehörige Portion Misstrauen ihrer Erzeuger. Data hat man trotz seiner übermenschlichen und letztlich bedrohlichen Fähigkeiten erlaubt und zugetraut, ein vollwertiges und vor allem bereicherndes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Soji wurde nicht einmal die Chance gegeben, sich in dieser Rolle zu beweisen. Stattdessen wurde sie  um ihr wahres Ich betrogen, und ein romulanischer Geheimbund trachtet ihr nach dem Leben. Und die Einrichtung, die sie eigentlich beschützen sollte – die Föderation – spielt eine unrühmliche Rolle in der ganzen Geschichte.

Soji tut sich schwer mit der nahenden Entscheidung, ob sie ein Teil dieser Gesellschaft werden möchte oder doch eher den Platz der Geschichte einnehmen soll, den ihr die mysteriöse romulanische Prophezeiung zugedenkt. Als Zerstörerin würde sie dann den Untergang der Zivilisation herbeiführen. Momentan kann man ihr nicht verdenken, dass sie diese Option noch nicht völlig ausgeschlossen hat.

Back to Borg

Während also die “gute” Maschine mit ihrer dunklen Seite ringt, entwickelt sich auf der anderen Seite der Macht eine nicht weniger überraschende Wendung. Ausgerechnet die Borg, Nemesis von Picard und der gesamten Sternenflotte, könnten sich als Rettung in der Not erweisen. Seven of Nine teilt ein Schicksal mit Soji: Auch sie ist von der Gesellschaft ausgestoßen worden, in dessen Obhut sie sich begeben hat. Genau wie Soji ist Seven of Nine auf der Suche nach ihrem Platz im Universum. Und wie es scheint, findet sie ihre Bestimmung an dem Ort, dem sie ihre Existenz verdankt.

Um den Borgwürfel der Kontrolle der Romulaner zu entreißen, sieht sich Seven zu einem drastischen Schritt gezwungen: Sie reaktiviert die in ihr schlummernde Borgtechnologie. “The Best of Both Worlds” hieß die legendäre Next Generation-Folge, in der Picard von den Borg entführt und zur Drohne “Locutus” wurde. In dem Seven sich aus freien Stücken mit der Technologie der Borg verbindet, vereint sie nun tatsächlich das Beste aus beiden Welten: Freier Wille trifft auf die Kraft des Kollektivs. In einem der epischsten Momente der gesamten Star Trek-Historie nimmt Seven ihren Platz als Borgkönigin ein.

Wenn es etwas an dieser Folge zu kritisieren gibt, dann, dass die Autoren aus diesem WTF-Moment buchstäblich sofort die Luft rauslassen. Aber wir dürfen davon ausgehen, dass das noch nicht der letzte Auftritt der neuen Mother of Borgs ist.

Tatsächlich Liebe

Der Showdown der ersten Staffel rückt also näher. Und am Ereignishorizont zeichnet sich eine epische Raumschlacht zwischen der Föderation, den Romulanern und kybernetischen Lebensformen ab. Wie dieser Konflikt letztlich ausgehen wird, ist noch unklar. Einen wichtigen Hinweis zu dessen Auflösung haben wir aber bereits bekommen. Beim Essen sprechen Picard und Soji über Data. Aus Picards Erzählungen spricht die Liebe, die er zu seinem engen, verstorbenen Freund noch immer empfindet. Soji, deren Geist aus dem Datas erschaffen wurde, erwidert an ihres Vaters statt diese Gefühle: “Er hat sie geliebt.”, sagt sie zu Picard.

Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich annehme, dass diese Liebe, die in Sojis neuronalen Netzen eingraviert ist, noch sehr wichtig werden wird.

TNG-Tipp der Woche (S03E16): The Offspring (dt. Titel: Datas Nachkomme)

Ich glaube nicht, dass man diese Staffel vollständig verstehen kann, wenn man diese Folge von The Next Generation nicht gesehen hat, in der Data die Androidin Lal kreiert. Doch seine “Tochter” funktioniert nicht wie erwartet.